Alle Jahre wieder blicken die US-Amerikaner gebannt auf den Bildschirm, wenn ihr Präsident ihnen die Lage der Nation darlegt. Die "State of the Union"-Rede, kurz Sotu, gehört zu den raren Momenten, an denen die Gräben zwischen den Parteien kurz unbearbeitet bleiben und Republikaner wie Demokraten ihrem Staatsoberhaupt lauschen. Auch wenn nur selten wirklich Neues gesagt wird: So wie alle seine Vorgänger nutzte auch Präsident Barack Obama diese Gelegenheiten, seine Politik zu erklären. Und langsam, aber sicher an seinem Vermächtnis zu feilen.

Die erste "Sotu"-Rede des frischgewählten US-Präsidenten Barack Obama im Februar 2009 war strenggenommen keine Rede zur Lage der Nation, sondern eine Ansprache vor beiden Parlamentskammern. Im Mittelpunkt standen das kurz davor in Kraft getretene Konjunkturprogramm American Recovery and Reinvestment Act und die wirtschaftliche Entwicklung im Zeichen der Finanzkrise. Motto: "Yes we can".

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Nach einer Reihe von Rückschlägen ging Obama 2010 mit einer kämpferischen Rede zur Lage der Nation in die Offensive. Unter dem Motto "Rescue, Rebuild, Restore – a New Foundation for Prosperity" ging es um Jobs, Jobs, Jobs. Zugleich nahm er die oppositionellen Republikaner in die Pflicht, an Reformprojekten wie der von ihm geplanten Gesundheitsreform mitzuarbeiten: "Geben Sie die Reform nicht auf. Nicht jetzt. Nicht, wenn wir so kurz vor dem Ziel stehen."

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2011, als im Nahen Osten und in Nordafrika die Serie der Aufstände und Umstürze begann, räumte Obama der Budgetsanierung hohe Priorität ein. Ohne entschlossenes Handeln bestehe für die USA die Gefahr, "unter einem Schuldenberg begraben zu werden". Zudem rief er Demokraten und Republikanern auf, über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Man komme entweder gemeinsam voran oder gar nicht, so Obama. Dem tunesischen Volk sicherte er seine Solidarität zu.

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Die Sotu 2012 stand im Zeichen der nahenden Wahl: Größere wirtschaftliche Gerechtigkeit, "jedem eine faire Chance", Steuererhöhungen für Millionäre und eine Wirtschaftsbelebung sollten Obamas letztlich erfolgreiches Rezept für die Wiederwahl sein. In der Außenpolitik betonte er die Führungsrolle der USA in der Welt. Eine atomare Bewaffnung des Iran wolle er verhindern, so Obama. Gabrielle Giffords, eine bei einem Attentat in Arizona verletzte Abgeordnete, wohnte der Rede bei.

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In der ersten Rede zur Lage der Nation nach seiner Wiederwahl rief Obama 2013 einmal mehr zum Kampf gegen die Krise auf. Die Gesetzgeber sollten den Weg für höhere Mindestlöhne und eine große Steuerreform freimachen. Zudem kündigte er Verhandlungen mit der EU über ein Freihandelsabkommen sowie mit Russland über einen weiteren Abbau des Atomwaffenarsenals beider Staaten an.

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2014 erneuerte Obama sein wichtigstes Versprechen: den entschlossenen Kampf gegen die soziale Ungleichheit. "Heute, nach vier Jahren des Wirtschaftswachstums, sind Unternehmensgewinne und Aktienkurse höher als kaum je zuvor, und denen an der Spitze geht es besser als kaum je zuvor." Aber die Ungleichheit habe zugenommen. Den Mindestlohn wollte Obama auf zehn Dollar pro Stunde erhöhen, neue Grenzen für den CO2-Ausstoß von Kraftwerken festlegen, einen tragfähigen Atomdeal mit dem Iran aushandeln und eine Einwanderungsreform durchsetzen.

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Nichts weniger als einen Neuanfang Amerikas beschwor Obama 2015 in seiner vorletzten Rede zur Lage der Nation: "Die Schatten der Krise sind hinter uns. Heute Nacht schlagen wir ein neues Kapitel auf." Den republikanisch dominierten Kongress warnte er davor, seine Gesundheitsreform und den Schutz illegaler Einwanderer anzutasten. Freie Hand verlangte Obama für die derzeit verhandelten Freihandelsabkommen mit Europa (TTIP) und Asien (TPP). Außenpolitik spielte einmal mehr nur eine Nebenrolle. Die USA hielten an ihrem globalen Führungsanspruch fest, betonte Obama. Auch der Opfer der Pariser Terroranschläge vom 7. Jänner wurde gedacht. (flon, 12.1.2016)

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