Köln – Die Zahl der Strafanzeigen und der namentlich bekannten Verdächtigen aus der Silvesternacht in Köln ist weiter gestiegen. Mittlerweile bearbeite die Ermittlungsgruppe "Neujahr" 553 Anzeigen, wie die Kölner Polizei am Montagabend mitteilte. In etwa 45 Prozent der Fälle werde unter anderem wegen Sexualdelikten ermittelt. Bisher lägen der NRW-Polizei Hinweise auf 23 namentlich bekannte Personen vor, die für Straftaten am und im Hauptbahnhof verantwortlich sein könnten. Mit Hilfe von Videoaufnahmen und Zeugenaussagen werde geklärt, ob ihnen konkrete Straftaten zugeordnet werden könnten. Die Bundespolizei hatte weitere 32 Verdächtige ermittelt, überwiegend Asylbewerber.

Laut deutschem Bundeskriminalamt (BKA) haben sich die Gewalttäter von Köln zu den Straftaten zu Silvester verabredet. Es habe sich aber nicht um organisierte Kriminalität gehandelt, sagte BKA-Chef Holger Münch. Bei organisierter Kriminalität "reden wir von geschlossenen Gruppierungen, von hierarchischen Gruppierungen, das sehen wir hier nicht". Es sei aber klar, dass die Täter sich verabredeten.

Die Urheber der sexuellen Übergriffe auf Frauen in Köln und anderen Städten seien "aus dem überregionalen Raum" gekommen, sagte Münch am Dienstag. "In der Regel läuft so etwas über Verabredungen in sozialen Netzwerken." Nun müsse genau ermittelt werden, wo und wie diese Verabredungen stattgefunden hätten, um solchen Übergriffen künftig vorzubeugen.

Münch fügte hinzu, es sei auch bekannt, dass für solche Übergriffe gezielt dichte Menschenmengen genutzt würden. Das sei in der Silvesternacht in mehreren Städten der Fall gewesen. Es gebe aber auch schon Meldungen zu ähnlichen Taten aus Schweden, aus Österreich oder aus der Schweiz.

Geringe Chancen auf Abschiebung

Infolge der Ereignisse wird nun über Gesetzesänderungen diskutiert – etwa zur schnelleren Abschiebung krimineller Asylbewerber. Die Union macht massiv Druck dafür, auch SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich offen gezeigt. Andere in der SPD – etwa Vize Ralf Stegner und Fraktionschef Thomas Oppermann – wollen aber nichts überstürzen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sieht allerdings wenig Chancen, gefasste Täter abzuschieben. "Das sind Menschen aus Algerien und Marokko in der überwiegenden Zahl. Selbst wenn die jetzt was begehen und sie werden verurteilt und wir könnten sie theoretisch abschieben, dann haben wir das Problem, dass die gar nicht aufgenommen werden von den Ländern".

Dies sagte sie in der ARD-Talkrunde "Hart aber fair" am Montagabend. "Wir kriegen überhaupt gar keine Ersatzpapiere, das heißt, wir können die gar nicht abschieben. Das sind alles Dinge, die müssen wir verändern."

Die Regierungschefin stellte sich hinter die Kritik von Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) an der Kölner Polizeiführung. Um die Übergriffe auf Frauen zu verhindern, hätte sie auf zusätzlich verfügbare Einsatzkräfte zurückgreifen müssen. Kraft teilte die Auffassung: Als die Nacht anders verlaufen sei als erwartet, habe die Polizei keine Einsatzkräfte nachgefordert. "Und da lag das Problem."

Dennoch bleibt Jäger unter Druck. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warf ihm Pauschalkritik an der Kölner Polizei vor. Es müsse geklärt werden, "ob es über den Silvestereinsatz in Köln hinaus in der Polizei in NRW strukturelle Defizite gibt, die beseitigt werden müssen", forderte der GdP-Landesvorsitzende Arnold Plickert.

Schon am Montag hatten die Oppositionsparteien CDU und FDP Jäger massiv kritisiert. CDU-Generalsekretär Peter Tauber legte ihm nun den Rücktritt nahe. "So wie er sich nun im Innenausschuss des Landtags gewunden hat, sollte er sich kritisch hinterfragen, ob er noch der richtige Mann für die innere Sicherheit im bevölkerungsreichsten Bundesland ist", sagte Tauber der "Rheinischen Post" (Dienstag).

Maas will Lücken im Sexualstrafrecht schließen

Auch Änderungen des Sexualstrafrechts werden nun angedacht. "Wir müssen alles tun, womit wir Frauen besser vor sexualisierter Gewalt schützen", sagte der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" vom Dienstag.

Derzeit sei insbesondere der Tatbestand der Vergewaltigung so eng beschrieben, dass es "Schutzlücken" im bestehenden Recht gebe. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie viel Widerstand eine Frau gegen einen sexuellen Übergriff leisten muss, damit von Vergewaltigung gesprochen werden kann. Hier "gibt das geltende Recht nicht immer eine klare Antwort", sagte Maas. Das Sexualstrafrecht müsse daher "den tatsächlichen Situationen, in denen die meisten Übergriffe stattfinden, gerechter werden". Auf jeden Fall dürften Vergewaltigungen nicht straflos bleiben.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, forderte mehr Personal für Polizei und andere zentrale Bereiche des Staatswesens. "Wir brauchen insgesamt einen öffentlichen Dienst, der handlungsfähig ist. Daran scheitert doch jetzt vieles", sagte Bartsch am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". Forderungen nach schärferen Gesetzen unterstützte Bartsch dagegen nur im Bereich des Sexualstrafrechts. Darüber gebe es bereits seit längerem Diskussionen und er wünsche sich, dass alle Bundestagsparteien gemeinsam "ganz schnell" neue Regeln erarbeiteten.

"Klare Kante" zeigen

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, hat nach den Übergriffen vor einem Umschwung in der öffentlichen Stimmung gegenüber Migranten gewarnt. "Inakzeptable Ereignisse wie in Köln dürfen nicht der Anlass sein, die positive Gesamtstimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen kaputtzureden." Das sagte Hoffmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstagsausgaben). Es gelte bei Straftaten sowohl gegen Zuwanderer als auch gegen Deutsche "klare Kante" zu zeigen, sagte Hoffmann.

Umfragen zur Stimmung ergeben ein unterschiedliches Bild. In einer INSA-Erhebung für die "Bild"-Zeitung unter 2039 Befragten gaben 61 Prozent an, wegen der Ereignisse von Köln gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen kritischer geworden zu sein. Zuvor hatten in einer Forsa-Umfrage für RTL 60 Prozent das Gegenteil gesagt.

"Die deutschen Gesetze gelten für alle und Kriminelle müssen bestraft werden", sagte Hoffmann Das müsse für Zuwanderer ebenso gelten wie beispielsweise auch für Deutsche, die Flüchtlingsheime angreifen. Hoffmann warnte zugleich vor Überreaktionen: Deutschland werde nicht deswegen zu einer "Bananenrepublik, weil in einigen Städten etwas geschehen ist, was absolut nicht tolerierbar ist."

In der Kölner Silvesternacht hatte es aus einer Menschenmenge heraus massive sexuelle Übergriffe auf Frauen und weitere Straftaten gegeben. Viele Tatverdächtige sind nordafrikanischer, einige auch arabischer Herkunft. (APA, 12.1.2016)