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In Skolkowo sollen Junggründer ihrer Kreativität freien Lauf lassen, für einen Esprit wie in den berühmten Garagen sorgen und damit die gesamte Wirtschaft beflügeln.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov
Grafik: STANDARD

Knallbunte Sitzpolster, hochbeinige Stehtische, großzügige Glasfront: Die Panoramascheiben im Vortragssaal des Hypercube eröffnen den Blick auf die Riesenbaustelle. Einige Kräne drehen ihre Runden, da und dort stehen unfertige Häuserskelette.

Der Technologiepark Skolkowo, das russische Silicon Valley, das nahe Moskau auf einem Areal in der Größe des ersten Wiener Gemeindebezirks entsteht, erscheint noch wie eine Geisterstadt. 25.000 Menschen sollen hier 2020 leben, fast doppelt so viele wie derzeit. Noch ist nicht einmal die Schnellbahnanbindung an die Stadt fertig. Es gab Verzögerungen beim Start und finanzielle Ungereimtheiten. Dabei sollte das Projekt der Motor für die 2009 vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew im großen Stil verordnete Modernisierung der Wirtschaft sein.

Tal der Tränen

Durch die Krise ist in der staatlich verfügten Brutstätte für Innovationen erst recht der Wurm drin. "In Skolkowo durchwandert man jetzt das Tal der Tränen. Man kommt in Russland ohnehin nicht einfach an Risikokapital. Jetzt ist es noch schwieriger, weil internationale Investoren weggehen", sagt Christian Graggaber. Der Österreicher hat in Skolkowo an der Business-School studiert und dort selbst ein Start-up gegründet. Das war 2012. "Firmen, die sich jetzt am Markt etablieren wollen, haben es nicht leicht."

Immerhin, der nüchterne Glaskubus vulgo Hypercube steht. Business-Angels, Industriepartner wie Cisco, IBM oder Siemens und ein Wissenschafternetzwerk unterstützen die 1500 Ideenschmieden. Start-ups, die mit staatlicher Unterstützung wie günstigen Krediten und Steuerbefreiung die Bereiche Weltraum- und Nukleartechnologie, IT, Biotechnologie und Energieeffizienz bearbeiten, um dann zahlungskräftige Investoren anzulocken. Einige verdienen auch schon Geld, wie Alexey Sitnikow, Vizepräsident des Projektes, betont. Datadvance ist so ein Erfolgsbeispiel. Das Spin-off einer Universität kam mit Airbus ins Geschäft. "Der A-350 wurde mit einer Software von Datadvance modelliert und kalkuliert", sagt Sitnikow. Stimulieren sei seine Aufgabe: "Ziele sind die Kommerzialisierung von Innovation sowie Wachstum zu generieren."

Schwarzes Jahr

Was Sitnikow so lapidar festhält, ist derzeit für Russland schwieriger und gleichzeitig nötiger denn je. Wirtschaftlich und sozial gesehen war 2015 ein schwarzes Jahr: Die Reallöhne sind gesunken, hohe Inflation und steigende Arbeitslosigkeit drückten den Lebensstandard, nach offiziellen Angaben stieg die Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Russen in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres um 2,3 auf über 20 Millionen Menschen.

Der drastisch gesunkene Ölpreis ist der Hauptgrund für das auf 3,8 Prozent geschätzte Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP), das auch ein Loch in den Staatshaushalt reißt. Die EU-Wirtschaftssanktionen tragen ebenfalls ihr Scherflein bei. Nun wird auch noch bei Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Bildung gespart.

Dabei kommt die seit Jahren von Experten gepredigte Diversifizierung der Wirtschaft, um die Abhängigkeit vom Ölpreis zu minimieren, ohnehin nicht vom Fleck: Fossile Rohstoffe machen rund 70 Prozent des Exports aus und tragen zur Hälfte des Haushalts bei. Während hierzulande 60 und im Europadurchschnitt 40 Prozent der Wirtschaftsleistung von Klein- und Mittelbetrieben erbracht werden, sind es in Russland gerade einmal 15 Prozent. Das Skolkowo-Projekt sollte die Werte verschieben – den Unternehmergeist beflügeln.

Jobs in der alten Industrie

Doch so einfach ist das nicht. "Die meisten wollen Jobs in der alten Industrie wegen der Stabilität. Hier kann keiner sagen, was herauskommt", sagt Sitnikow. Tatsächlich gingen zwischen 2008 und 2012 im Privatsektor 300.000 Jobs verloren, im Staatssektor kamen eine Million neue dazu. Marina Dedenko hielt das dennoch nicht ab, zu kommen. Die russischstämmige Ukrainerin ist am Skolkovo Institute of Technology für Fundraising zuständig. Ihren Job hat sie erst seit einigen Wochen, nachdem sie die Ukraine verlassen hat. "Dort gab es keine Jobs. Aber Sponsoren zu finden ist hier derzeit auch nicht leicht", sagt sie.

Auch wenn bei Skolkowo "Sand im Getriebe ist", wie Dietmar Fellner es formuliert, ist der Wirtschaftsdelegierte in Moskau überzeugt, dass die Diversifizierung kommt. Wenn auch anders als geplant. "Die EU-Sanktionen sind ein echter Antrieb", sagt er. "Mittlerweile findet man etwa Milch und Käseprodukte heimischer Hersteller in den Regalen. Für sie gab es ja lange durch die Flut billiger EU-Nahrungsmittel keinen Anreiz." Im IT-Sektor sei Russland ohnedies gut aufgestellt. Aber "die Modernisierung war abgestellt auf das Einkaufen europäischer Technologie. Jetzt muss man sich etwas überlegen, und es tut sich etwas." Viele wollen den Aufschwung nicht erwarten. 2015 kehrten laut Statistik 53.235 Russen dem Land den Rücken, die höchste Zahl seit neun Jahren. Ein Ende ist nicht absehbar, glaubt der Österreicher Graggaber. "2016 und 2017 wird die Krise bleiben, Viele wandern nach San Francisco oder Berlin. Manche gleich mit ihren Firmen." (Regina Bruckner, 12.1.2016)