Zerrissene, tieftraurige Bluesmusik: Otis Clay, in der Emotionalität des Gospel verwurzelt, hat als einer der Letzten den tiefen Southern Soul hochgehalten.

Foto: Heinz Steimann / otisclay.net

Wien/Chicago – Das Erkennungsmerkmal seiner Stimme war die Traurigkeit in ihr. Das war seinen Themen geschuldet. Otis Clay sang über die Schattenseiten des Lebens, darüber, wie es sich anfühlt, verlassen zu werden. Das Unabwendbare war sein Thema, früh gesellte sich zur beschworenen Hoffnung auch die Resignation. Seine erste Single titelte I'm Tired of Falling in (and out of) Love.

Dargebracht hat er derlei Einsichten mit den Mitteln der Soulmusik. Geboren am 11. Februar 1942 in einem Kaff in Mississippi, gehörte Clay dem Fach des Southern Soul an. Er gehörte zu den Größen in der zweiten Reihe. Dort, wo Soulmusik oft die besten, die zerrissensten Ergebnisse erzielte, ist nun ein weiteres Loch entstanden: In der Nacht auf Samstag ist Otis Clay gestorben.

Im Windschatten

Nach einer musikalischen Sozialisation in den Keimzellen der Soulmusik, den Kirchenchören, wanderte er gen Norden, wo er nach in den frühen 1960er-Jahren immer öfter weltlichen Rhythm 'n' Blues sang. Auf dem Chicagoer Label One-derful nahm er seine ersten Singles auf, später, nach einer Übernahme des Labels von Atlantic Records, auf deren Ableger Cotillion. Die erste Single des Labels war eine von Otis Clay, auf der er She's About a Mover des Sir Douglas Quintett coverte und einen nationalen Hit landete. Anfang der 1970er-Jahre veröffentlichte er bei Hi Records in Memphis. Im Windschatten des Welterfolgs von Al Green produzierte dort Willie Mitchell Acts wie O. V. Wright, Ann Peebles und Syl Johnson und wandte seine Erfolgsformel auch auf diese Künstler an.

Eleganter Stilist

Und auf Clay. Hi Records veröffentlichte die Alben Trying to Life My Life Without You oder I Can't Take It. Wie sein Freund O. V. Wright war Clay ein eleganter Stilist, wie Wright zu stark in der Emotionalität des Gospels und des Blues verwurzelt, um den weißen Mainstream zu knacken. Nach einigen mittelgroßen Hits verschwand dieser sanfte Riese zwar aus den Charts, arbeitete aber konsequent weiter und genoss den Zuspruch, den seine Kunst in Japan oder Europa genoss und die in den letzten Jahren wieder stärker von einer neuen Generation von Fans nachgefragt war. An die fünfzehn Alben hat der in Chicago lebende, sozial engagierte Sänger veröffentlicht, sein letztes – This Time For Real – erst im vergangenen Herbst mit Billy Price.

Es wurde in den USA für einen nationalen Blues-Preis nominiert, doch den wird Otis Clay nun nicht mehr empfangen können. Er erlag einem Herzinfarkt. Otis Clay wäre in einem Monat 74 Jahre alt geworden. (Karl Fluch, 10.1.2016)