München – Auch am Freitag, am Tag der Veröffentlichung der historisch-kritisch kommentierten Neuausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf", rissen die Diskussionen um die Publikation nicht ab. Während der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, die Veröffentlichung als "unnötig" kritisierte, sieht der bekannte deutsch-israelische Historiker Moshe Zimmermann (72) darin kein Problem. "Tatsache ist, dass die Rechtsradikalen in Deutschland kaum etwas mit dem Text anfangen können – weil er nicht aktuell ist, weil er langweilig ist", sagte er in einem Interview.

Zimmermann selbst hat einen Teil der Hetzschrift selbst vor etwa zwanzig Jahren mit Studenten ins Hebräische übersetzt und kommentiert. "Die Studenten hatten keine Probleme. Probleme hatten die Politiker. Als Abgeordnete davon erfahren haben, haben sie bestürzt reagiert, ohne Verständnis, worum es geht. Der Tenor: Man dürfe 'Mein Kampf' nicht ins Hebräische, in die heilige Sprache, übersetzen", sagt der emeritierte Professor der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Die fast 2.000 Seiten starke kritische Edition sei als eine "Gegenrede zu Hitlers Schrift" zu verstehen, sagte der Leiter des Editionsprojekts am Institut für Zeitgeschichte in München, Christian Hartmann. Die Neuausgabe könne einem breiten Publikum verdeutlichen, dass es sich bei dem Buch "über weite Strecken um eine aggressive wie ordinäre Hasspredigt handelt", sagte Hartmann weiter. "Dieses Buch war und ist ein Symbol, daran hat sich bis heute nichts geändert."

Die Schrift müsse heute verstanden werden als "das gedankliche Zentrum einer menschenverachtenden wie mörderischen Ideologie, deren Verwirklichung schließlich in der größten Katastrophe endete, welche die Geschichte kennt", führte der Historiker aus.

Die deutsche Neupublikation des Buchs war möglich geworden, weil der Urheberschutz Ende 2015 ausgelaufen war. Nach Hitlers Tod waren die Schutzrechte für das Buch "Mein Kampf", das bis 1945 rund zwölf Millionen Mal in Deutschland gedruckt worden war, für 70 Jahre auf den Freistaat Bayern übergegangen, der die Zustimmung zu einer Neuauflage stets verweigerte.

Dass "Mein Kampf" nun allenthalben ohne urheberrechtliche Einschränkung publiziert werden könne, habe die kritisch kommentierte Edition geradezu zwingend erforderlich gemacht, sagte der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching. Es wäre schlicht unverantwortlich, "dieses Konvolut der Unmenschlichkeit" kommentarlos zu veröffentlichen, "ohne ihm eine kritische Referenzausgabe entgegenzustellen, die Text und Autor gleichsam in die Schranken weist".

Der Institutsdirektor räumte ein, dass die Neuausgabe Unbehagen und Kritik hervorrufe – "insbesondere aus der Perspektive der Opfer des nationalsozialistischen Terrors". Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf das aktuelle Erstarken rechter Bewegungen in Europa. Derzeit drohten "entsprechende Denkhaltungen wieder salonfähig zu werden", warnte er. (dpa, red, 8.1.2016)