Der britische Premier David Cameron und Ungarns Viktor Orbán sind sich einig: Die Macht der EU-Institutionen soll beschnitten, sie selber umgekehrt gestärkt werden.

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Mit drohenden Prüfverfahren durch die EU-Kommission kennt Viktor Orbán sich bestens aus. Vor vier Jahren war zwischen dem ungarischen Premierminister und der für Justiz- und Grundrechte zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding ein harter Konflikt ausgebrochen. Orbán wurde vorgeworfen, die Zweidrittelmehrheit im Parlament dazu zu missbrauchen, um öffentlich-rechtliche Medien und den Verfassungsgerichtshof auf Linie zu bringen, indem er EU-Richtlinien und die Grundrechtecharta durch nationale Verfassungsänderungen unterlaufe. Die Kommission drohte mit Maßnahmen.

Aber Orbán gelang es jedes Mal, Konsequenzen abzuwenden. Er lenkte ein, wenn es unvermeidbar war, einigte sich mit Brüssel.

Polen auf Orbáns Spuren

Auf verblüffende Weise ähnlich scheint sich diese Geschichte jetzt zu wiederholen, wenngleich diesmal nicht Ungarn, sondern Polen ins Visier der "Hüter der EU-Verträge" gekommen ist. Die neue nationalkonservative Regierung ist mit schweren Vorwürfen konfrontiert. In zwei Briefen hat Vizepräsident Frans Timmermans Warschau vorgehalten, per Gesetz, aber "ungültig" in Besetzung und Rechtsprechung der Höchstrichter einzugreifen. Und er prangerte den Umgang mit Presse- und Medienfreiheit an.

Mit neuen Gesetzen soll es möglich sein, die Intendanten von Radio und Fernsehen zu entfernen. Wie zur Bestätigung dieser Vorwürfe wurde am Freitag bekannt, dass der frühere EU-Abgeordnete Jacek Kurski (49) neuer Fernsehchef werden soll, von Finanzminister Dawid Jackiewicz bestellt. Er gehört der regierenden PiS-Partei unter Jarosław Kaczyński an.

Orbán erklärte sich Freitag nun zum ersten Verteidiger der polnischen Regierung. Ausgerechnet in einem Interview im ungarischen Radio sagte er laut Reuters, "die EU solle die mögliche Ausübung von Sanktionen nicht einmal in Erwägung ziehen, das würde Einstimmigkeit erfordern, Ungarn wird das niemals unterstützen". Er spielt damit auf die äußerste Konsequenz im Prüfverfahren an, den Entzug des Stimmrechts für Polen wegen Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit. Aber Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat bereits klargestellt, dass diese juristische "Atombombe" nicht gezündet wird, man werde mit Polen über Anpassungen reden.

Kein Polen-Bashing

Warschau ist bereit. In einer Antwort auf Timmermans Warnbriefe bedauert man "Kommunikationsdefizite". Die Kommission wird Mittwoch darüber beraten. "Kein Polen-Bashing" ist Junckers Devise. Seine Vorsicht hat Gründe. Denn Ungarn will mit Polen und den Visegrád-Staaten Tschechien und Slowakei eine starke Gruppe bilden, die in der Union nationale Politik stärken und EU-Integration schwächen will. Orbán spielt den Vorreiter. Er bemüht sich dabei sehr, eine Brücke zur EU-skeptischen britischen Regierung, zu Premier David Cameron, zu schlagen. Mittwoch war Orbán in Polen, Donnerstag besuchte der Brite ihn in Budapest.

Beide betonten ihre Übereinstimmung. Orbán sagte, er sei optimistisch, dass die von Cameron unter EU-Austrittsdrohung verlangten Reformen einer Lösung zugeführt werden könnten. Sogar die von London verlangte Kürzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer "kann erwogen werden", was die Visegrád-Staaten bisher vehement ablehnten.

Aber es gibt höhere Ziele. Orbán verlangt, die EU müsse zur Eindämmung der Flüchtlingsströme Grenzen befestigen: zum EU-Mitglied Griechenland. "Die nächste Verteidigungslinie, die wir bauen müssen, liegt an der Nordgrenze Griechenlands", wurde er zitiert. (Thomas Mayer aus Brüssel, 8.1.2016)