Polizei riegelte das Viertel Goutte d'Or ab.

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Der neue Anschlag in Paris ereignete sich kurze Zeit nachdem der französische Präsident François Hollande in einem anderen Stadtkreis eine Rede zum Gedenken an das Blutbad in der Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" vom 7. Jänner 2015 beendet hatte. Ein 20-Jähriger versuchte am Donnerstag kurz vor Mittag in ein Polizeikommissariat im Viertel La Goutte d'Or einzudringen. Der wegen Raubes polizeibekannte Täter hatte ein langes Messer gezückt und "Allahu akbar" (Gott ist größer) gerufen. Dazu trug er einen vermeintlichen Sprengstoffgürtel, der sich im Nachhinein als Attrappe herausstellen sollte. Die anwesenden Polizisten erschossen den Eindringling. Ein Zeuge sprach von "zwei oder drei" Schüssen, dementierte aber die Polizeiversion, der Angreifer sei auf die beiden Wachhabenden zugerannt. Anrainer filmten danach den auf der Straße liegenden Mann und seine Tatwaffe.

Polizeikräfte sperrten in der Folge das ganze Viertel, in dem ein ausgesprochenes Nationalitätengemisch lebt und das früher für Zusammenstöße mit der Polizei bekannt war. Seit der Einrichtung einer Polizeiwache hatte sich die sozial gespannte Lage etwas beruhigt.

IS-Flagge und Bekennerschreiben

Aus Polizeikreisen hieß es, der in Marokko geborene Täter sei ohne Ausweispapiere unterwegs gewesen, habe aber ein Bild mit der Flagge der Terrormiliz IS und ein "unmissverständliches" Bekennerschreiben auf Arabisch bei sich getragen. Aufgrund dieser Erkenntnisse werde der Vorfall als Terroranschlag eingestuft.

Polizisten mit gezogenen Waffen sicherten die Zone ab. Der Verkehr zweier U-Bahn-Linien, die sich bei der nahen Station Barbès-Rochechouart kreuzen, wurde vorübergehend eingestellt. Nahe gelegene Schulen konnten nicht mehr betreten oder verlassen werden. Nach der Sicherung des Viertels stattete Innenminister Bernard Cazeneuve der Polizeiwache einen Besuch ab.

Innenministerium geht von "bloßer Aggression" aus

Die weitflächige Reaktion der Behörden konstrastierte mit der zuerst vorsichtigen Einschätzung des Innenministeriums, laut dem es "zu früh" sei, "von einem Terrorakt zu sprechen". Bisher gehe man von einer bloßen "Aggression" aus. Ähnlich vorsichtig hatte sich die Regierung nach einer Attacke am Neujahrstag in Valence (Rhonetal) geäußert. Ein 29-jähriger Mann maghrebinischer Abstammung war mit seinem Auto in die Wächter der lokalen Moschee gefahren und hatte dabei einen Soldaten verletzt, bevor er selber durch zwei Schüsse verletzt und außer Gefecht gesetzt wurde. In Spitalshaft erklärte er, er habe Soldaten der französischen Armee, die in Syrien Zivilisten umbringe, töten wollen. Auf seinem Computer wurde "jihadistische Propaganda" gefunden, wie die Staatsanwaltschaft bekanntgab; sie meinte jedoch, "jedermann" könne solche Inhalte im Internet finden.

Das Vorgehen bei der Attacke im Viertel La Goutte d'Or erinnert ferner an einen Vorgang wenige Wochen vor den "Charlie"-Attentaten im Dezember 2014. Damals drang ein junger Mann zu "Allahu akbar"-Rufen in die Polizeiwache des zentralfranzösischen Dorfes Joué-lès-Tours ein. Er wurde ebenfalls erschossen.

Die französische Polizei sorgt sich zunehmend wegen der Zunahme solcher Einzeltaten, deren Urheber keinerlei Verbindung zu Terrorgruppen haben. Die von Hollande angeordnete Verstärkung der Polizeikräfte bietet keine Handhabe gegen diese zum Teil geistig verwirrten "Sponti-Jihadisten", die den IS-Terroraufrufen ohne jeden eruierbaren Außenkontakt Folge leisten. (Stefan Brändle aus Paris, 8.1.2016)