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An der Erdgasdrehscheibe der OMV in Baumgarten (NÖ) gelangt ein Großteil des russischen Erdgases nach Mitteleuropa. Von anderen signifikanten Gasquellen kann die EU derzeit nur träumen.

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Gerhard Mangott ist Experte für russische Politik.

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Johannes Pollak forscht über EU- und Energiepolitik.

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Die Pläne der OMV, sich zusammen mit führenden europäischen Energiekonzernen einerseits am Bau der Nord-Stream-Erweiterung zu beteiligen und andererseits Anteile an eigenen Raffinerien gegen eine Beteiligung an sibirischen Gasfeldern zu tauschen, hat in Österreich eine Debatte über Russlands Rolle in der europäischen Energieversorgungssicherheit ausgelöst.

Die Ausgangslage: Durch die stagnierende Konjunktur ist der Gasverbrauch in der EU deutlich zurückgegangen. Mit 21,5 Prozent lag der Anteil von Erdgas am gesamten Energiemix – bei steigendem Anteil erneuerbarer Energie im Primärenergiesektor – so niedrig wie lange nicht. Dennoch ist der Importbedarf weiterhin hoch, weil Großbritannien und die Niederlande weniger fördern. Norwegen kann diesen Rückgang nur bedingt und unter steigenden Kosten kompensieren. Russland ist mit einem Anteil von 30 Prozent am Gaskonsum der EU der wichtigste Lieferant. In den nächsten Jahren werden die USA und Australien große Mengen an Flüssiggas exportieren. Iran wird mittelfristig zu einem wichtigen Gaslieferland, wenn auch nicht für Europa, aufsteigen. Dieses insgesamt steigende Gasangebot trifft auf einen europäischen Markt, der wohl erst 2025 zum Verbrauchsniveau von 2008 zurückkehren wird.

Ein wichtiger Faktor der Energiesicherheit ist die Infrastruktur. Russland versucht seit 1999, die dominierende Rolle des maroden ukrainischen Transitnetzes durch Umgehungsleitungen zu verringern. Nord Stream – in Betrieb seit 2011/12 – ist die zentrale nördliche Umgehungsleitung. Die südliche Route ist Russland bisher nicht gelungen: South Stream wurde im Dezember 2014 aufgrund des Widerstands der Europäischen Kommission aufgegeben. Die Ersatzvariante Turkstream wird wegen des türkisch-russischen Konfliktes derzeit nicht weiterverfolgt. Geopolitisch motivierte Bemühungen, die russischen Pläne zu vereiteln, müssen die Frage beantworten, wer mehrere Milliarden in die Sanierung des ukrainischen Gasleitungsnetzes investieren soll.

In dieser Situation Energiesicherheit – also die konstante Versorgung zu leistbaren Preisen mit wenn möglich nachhaltiger Energie – zu gewährleisten ist alles andere als einfach. Nach dem Scheitern von Nabucco konzentriert man sich in der OMV auf den Ausbau des nördlichen Korridors. Dafür sind fünf Gründe anzuführen: (1) Der Ausbau von Nord Stream ist technisch einfach und vergleichsweise kostengünstig; (2) Nord Stream ist unabhängig von Transitländern; (3) Gas wird damit auf den nördlichen Spotmärkten verfügbar – von dort wird Gas über ganz Europa verteilt; (4) Gas ist eine lokale Ware, i. e. je näher zum Produktionsstandort sich der Käufer befindet, umso günstiger. Und Russlands Gasvorräte befinden sich vor der Haustür Europas. (5) Russland hat sich in den letzten 50 Jahren als verlässlicher Lieferant erwiesen; die Lieferengpässe 2006 und 2009 waren wesentlich dem Transitland Ukraine geschuldet.

Diversifizierung

Was wären die Alternativen zu russischem Gas? In Europa spricht man von Diversifizierung der Lieferanten, Diversifizierung der Versorgungsrouten, Energieeffizienz, erneuerbarer Energie sowie der Vollendung des Energiebinnenmarktes. All dies ist vorbehaltlos zu begrüßen, aber auch an der Realität zu messen.

Wer sind die Lieferanten, die für Russland einspringen könnten? Flüssiggas (LNG) der USA wird sich die teuersten Absatzmärkte suchen, und das ist derzeit Asien. Der EU fehlt die Infrastruktur, um LNG von West nach Ost zu verteilen. Und russisches Gas wird mindestens so günstig zu beziehen sein wie US-LNG.

Nordafrika ist aufgrund der politischen Unruhen und des steigenden Binnenverbrauchs kein Lieferant für höhere Erdgasmengen. Irans Gasindustrie und -infrastruktur benötigen zumindest eine Dekade zur Modernisierung. Die vor allem im Süden des Landes konzentrierten Gasfelder werden in erster Linie die stark steigende Binnennachfrage bedienen müssen, auch um das Regime zu stabilisieren. Die exportierbaren Gasreserven Aserbaidschans sind begrenzt; Gas aus Turkmenistan wird vorwiegend nach China exportiert, und es fehlt die Transportinfrastruktur nach Westen. In beiden Fällen würde die sich immer stärker islamisierende Türkei zum zentralen Verteilzentrum des Gases aus Zentralasien. Ungeklärt wäre weiterhin, wie das Erdgas von der türkischen Grenze in die EU gelangen soll. Die rumänische und bulgarische Infrastruktur kann dies aufgrund von überalterter und sanierungsbedürftiger Technik nicht leisten.

Die Beteiligung der OMV an Nord Stream 2 wird ausschließlich politisch bewertet; die ökonomische Rationalität und die erhöhte Sicherheit der Gasversorgung durch den Wegfall von Transitländern werden ausgeblendet. Gasleitungen sind zudem nicht nur technische Infrastruktur, sondern verbinden Staaten. Die erhöhte Interdependenz mit Russland schafft wechselseitige Abhängigkeiten. Die EU wird weiterhin Gas aus Russland beziehen müssen, Russland wird weiterhin auf den lukrativen europäischen Markt setzen, auf den 2014 75 Prozent der russischen Gasexporte entfielen. Die gesamte Leitungsinfrastruktur Russlands führt nach Westen, alle vollmundig angekündigten Pläne für eine Energiekooperation mit China sind bisher Makulatur. Damit bleibt Russland vom europäischen Markt außerordentlich abhängig. Die Gasbeziehungen zwischen Russland und Europa sind von symmetrischer Dependenz gezeichnet; sie stellen daher ein kalkulierbares Risiko dar, wenn der Anteil Russlands am Gaskonsum der EU auf 30 Prozent beschränkt bleiben kann. Gazprom selbst erwartet keinen höheren Anteil am europäischen Gasmarkt.

Positive Abhängigkeit

Aber auch aus strategischen Gründen sollten die Gasbeziehungen zwischen der EU und Russland weiter bestehen. Russland ist von Öl- und Gasexporten finanziell stark abhängig. Die Diversifizierung weg von Russland senkt russische Einnahmen und gefährdet damit die Stabilität im Land. Niemand aber kann Interesse an einem instabilen Russland haben.

Der angesteuerte Asset-Swap – Beteiligung an russischen Gasfeldern gegen Infrastrukturbeteiligungen – zwischen der OMV und Gazprom stärkt die Interdependenz auch auf der Unternehmensebene. Kritiker meinen, dies wäre der Start einer unweigerlich fortschreitenden Übernahme der OMV durch Gazprom. Allein, sie haben kein einziges Argument vorgelegt, warum der Tausch von Unternehmensanteilen nicht kontrollier- und steuerbar bleiben soll. Das Gerede vom Ausverkauf der OMV und der einseitigen Abhängigkeit der EU von Russland ignoriert beharrlich Fakten und globale Realitäten. (Gerhard Mangott, Johannes Pollak, 4.1.2016)