Nach einer iranisch-saudischen Entspannung sieht es unter König Salman derzeit nicht aus

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Es gibt zurzeit kaum einen politischen Brand im Nahen Osten, der gelöscht werden könnte, ohne dass Iran und Saudi-Arabien lernen würden, ihr Konkurrenzverhältnis erfolgreich zu managen. Auch die konfessionellen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten sind nichts anderes als der Niederschlag eines großen politischen Ringens am Persischen Golf und in der Levante. Aber die konfessionellen Identitäten sind nicht (nur), wie viele nahöstliche Verschwörungstheoretiker es haben wollen, ein Konstrukt von außen: Viele Sunniten und Schiiten, vor allem jene, die mitten drin stecken, sind zutiefst davon überzeugt, dass sie sich in einer Zeit der Entscheidung befinden.

Und wenn Saudi-Arabien einen berühmten schiitischen Kleriker hinrichtet, der zur Ikone der Unterdrückung der Schiiten im wahhabitischen Königreich geworden ist, dann sehen das Schiiten weltweit als direkte Attacke der Saudis auf die Schia.

Entspannung nicht zu erwarten

Was nach saudi-arabischen rechtlichen Kriterien gerecht oder ungerecht ist – das ist ohnehin ein anderer Planet –, ob der saudi-arabische schiitische Ayatollah Nimr Baqir al-Nimr nun ein sektiererischer Aufrührer war oder nicht, sei einmal dahingestellt. Aber seine Hinrichtung setzt den Ton fürs nächste Jahr, und die lautet: Mit einer iranisch-saudischen Entspannung ist nicht zu rechnen. Die neue Führung in Riad – König Salman, der unter dem Einfluss seines Sohnes, Verteidigungsminister und Vizekronprinzen Mohammed steht – zieht es vor, starke Statements zu setzen statt pragmatische Entscheidungen zu treffen.

Das hätte ja, wenn ihnen die offene Rechnung mit Nimr gar so wichtig ist, nicht einmal eine Begnadigung sein müssen, es gibt auch andere Urteile, die ganz einfach nicht vollstreckt werden. Dass am 1. Jänner – auch wenn dieser nach dem islamischen Kalender bedeutungslos ist – gleich 47 Verurteilte dem Henker zugeführt wurden, die größte Anzahl seit der Besetzung der Großen Moschee in Mekka 1979, ist überhaupt ein Signal an die Welt, wenngleich nicht das, das Riad vielleicht auszusenden meint, nämlich: dass Saudi-Arabien, das von der Vox populi immer wieder als Financier des "Islamischen Staats" genannt wird, den Kampf gegen den Terrorismus ernst meint.

Syrien, Irak, Jemen

Und das bedeutet, dass die großen Konflikte sich weiter der Bearbeitung entziehen werden: Syrien, Jemen, der Irak – wo Saudi-Arabien nach mehr als 25 Jahren, und fast 13 Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins, soeben seine Botschaft wieder öffnet, was als gutes Zeichen gesehen wurde – ein wichtiger Schritt, der schiitisch-geführten irakischen Regierung in den Augen der Sunniten mehr Legitimität zu verleihen. Gleichzeitig heizt Riad aber nun die bitteren Gefühle seiner eigenen Schiiten in den nordöstlichen Landesteilen gegen den Staat an: Ein potenzieller Konflikt wird nicht eingehegt, sondern befeuert.

Nimr Baqir al-Nimr war jahrelang der Freitagsprediger in der schitiischen Stadt al-Awamiya ist und trug den Titel Ayatollah. Zur Bekanntheit über Saudi-Arabien hinaus gelangte er, als er 2011 im Gefolge des Arabischen Frühlings auch in den saudi-arabischen Schiitengebieten Demonstrationen ausbrachen. Nimr hatte jedoch bereits früher gegen – real existierende – Diskriminierung von Schiiten in Saudi-Arabien aufgerufen und 2009 mit Sezession gedroht, sollte Saudi-Arabien "den Schiiten nicht ihre Würde zurückgeben". Schon zuvor war er mehrmals verhaftet worden. Bei den Demonstrationen 2011 rief er jedoch zur Gewaltlosigkeit auf. Bei seiner Festnahme 2012 wurde er verletzt: Bilder des mit einem blutbefleckten weißen Tuch bedeckten Scheichs auf einer Autorückbank liegend wurden unter Schiiten auf der ganzen Welt verbreitet. 2014 wurde er zum Tode verurteilt, wie auch sein zur Tatzeit minderjähriger Neffe Ali, für den sich unter anderem der österreichische Außenminister Sebastian Kurz bei seinem Besuch in Riad Ende November einsetzte. Er war nicht unter den Exekutierten.

Man hätte Nimr Baqir al-Nimr durchaus als "radikal" bezeichnen können, seine Gewaltlosigkeit machte ihn wahrscheinlich nur noch gefährlicher. Er selbst bezeichnete einmal das "Märtyrertum" als die stärkste Waffe. Die saudischen Behörden scheinen das nicht zu glauben. (Gudrun Harrer, 2.1.2016)