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Der Präsident spricht: "Es sollte prinzipiell schon der gewinnen, der am weitesten springt."

Foto: ap/zak

Leutasch – "Das versteht kein Mensch!" Natürlich sieht sich Peter Schröcksnadel berufen, den Beginn der 64. Vierschanzentournee zu kommentieren. Und der Kommentar des ÖSV-Präsidenten fällt eindeutig aus. "Die Regel ist ein Quatsch", sagt Schröcksnadel im Gespräch mit dem Standard und meint die Windkompensation samt situationselastischer Anlauflänge. Der Sieg in Oberstdorf sei dem Deutschen Severin Freund "zu vergönnen". Aber? "Wie dieser Sieg zustande gekommen ist, war nicht sauber."

Zwei Skispringer, drei Meinungen, so könnte man in Anlehnung an einen alten Spruch über Ärzte sagen. Die Diskussionen jedenfalls halten auch in Garmisch-Partenkirchen an, wo der Tross traditionell den Jahreswechsel begeht, mit der Quali am Donnerstag und dem Springen am Freitag (jeweils 14 Uhr, ORF 1). Für Schröcksnadel ist die Sache klar. "Die Leute müssen wissen, warum einer gewinnt. In Oberstdorf hätte die Jury einfach ein paar Minuten abwarten müssen. Es soll in einem bestimmten Windkorridor gesprungen werden – und aus. Aber das Hin-und-her-Geschiebe mit den Gates und dazu noch Kompensationspunkte, das ist Quatsch."

Eine Gegenposition

Nach Oberstdorf, wo neben Freund auch der zweitplatzierte Oberösterreicher Michael Hayböck von plötzlichem Aufwind profitierte, mag es schwerfallen, eine andere Position zu beziehen. ORF-Experte Andreas Goldberger war einer, der sich darum bemühte. In Oberstdorf sei nicht alles gut gelaufen, sagte er. "Aber ich bin froh, dass es die Kompensationspunkte gibt. Dadurch ist es fairer geworden, wenn es auch nie ganz fair sein wird."

Hier hakt Schröcksnadel ein. "Es sollte prinzipiell schon der gewinnen, der am weitesten springt. Mit dieser Regel kommt man in die gefährliche Situation, dass manipuliert werden könnte. Skispringen ist ein Freiluftsport, da muss man die Regeln der Natur akzeptieren. Auch in der Leichtathletik gibt es wechselnde Bedingungen, im alpinen Skisport sowieso. Wenn sich in der Abfahrt eine Wolke vor die Sonne schiebt, kann das eine Sekunde Unterschied ausmachen. Und natürlich gibt es keine Kompensation." Die Regel im Skispringen wurde eingeführt, um "bei schlechten Bedingungen den einen oder anderen Bewerb zu retten", sagt Schröcksnadel. "Aber jetzt lässt sich sagen, dass die Nachteile klar überwiegen."

Heinz Kuttin, Österreichs Cheftrainer, stellt sich natürlich nicht gegen "seinen" Präsidenten. Auch noch am Mittwoch in Leutasch, wo die Österreicher Quartier bezogen haben, übte er Kritik an der Oberstdorf-Jury. "Das war ein klarer Eingriff", stellte er fest, der Eingriff hänge aber nur peripher mit der Windkompensation zusammen. "Man hätte warten müssen", in diesem Punkt geht Kuttin mit Schröcksnadel konform. Ansonsten sei er froh, sagt der Kärntner dem Standard, "dass sich der Sport weiterentwickelt und nicht in der Steinzeit stehenbleibt" . Meistens, so Kuttin, "sind die Guten sowieso vorn".

Will Schröcksnadel zurück in die Steinzeit? Er sagt, er wolle zurück zur Verständlichkeit. "Zu einem Freiluftsport gehören wechselnde Bedingungen." Österreichs mächtigster Sportfunktionär will bei der Vorstandssitzung des Skiweltverbands (Fis) im Frühjahr darauf drängen, "dass die Windkompensationsregel nicht mehr so gehandhabt wird". Die Saison wird da allerdings gelaufen und vor allem gesprungen sein, die Tournee sowieso.

Mag sein, dass Garmisch-Partenkirchen dann den Weg gewiesen hat. Dort steht der Bakken, den allein Gregor Schlierenzauer als "Lieblingsschanze" bezeichnet. Doch er sucht seine Form. "Wie lange das dauert, steht in den Sternen", sagt er. Den meisten anderen Springern liegt Garmisch-Partenkirchen weniger. "Aber weil das eh fast jeder sagt" , sagt Michael Hayböck, "passt's auch wieder." Die Österreicher wollten im Herbst in Garmisch trainieren, konnten aber nicht. "Wie so oft war dort zu starker Wind", sagt Kuttin. Ein Manko jedenfalls, das oft kompensiert wurde, wie fünf ÖSV-Siege in den jüngsten sieben Neujahrsspringen belegen. (Fritz Neumann, 30.12. 2015)