Vorweg will Reyes Jiménez, Chefrestauratorin am Picasso-Museum von Barcelona, eines klargestellt wissen: "Uns ging es nicht darum, neue Werke zu entdecken." Das ist zwar passiert, vielmehr aber wollte man mittels der detaillierten, mit der Universität Barcelona erarbeiteten Untersuchung von sechs frühen Porträtwerken Pablo Picassos (1881-1973) objektive Erkenntnisse über dessen Schaffensprozess offenbaren, unterstreicht sie.
Zwei der untersuchten Bilder aus dem Museumsbestand stammen aus der Zeit, als der junge Picasso, geboren im südspanischen Málaga, mit seiner Familie im nordspanischen Galicien lebte. Fast noch ein Kind war er etwa, als er 1895 Viejo (dt. Bildnis eines alten Mannes) anfertigte, es zählt zu den ersten bekannten Werken Picassos. Die übrigen vier stammen aus der für ihn prägenden frühen Phase in Barcelona, ehe er 1904 nach Paris übersiedelte.
Kreativität und Material
Methodisch ging man den Gemälden mittels Infrarotfotografie, Röntgenstrahlen, UV-Licht, Reflektografie, Spektrografie und Fluoreszenzanalyse tief unter die Haut. Freilich gänzlich, ohne sie dabei zu berühren: "Wir haben keine Proben entnommen, nicht invasiv gearbeitet", bekräftigt Jiménez. Das Ziel: "Neue Forschungsbereiche zu eröffnen." Eckpunkte der wissenschaftlichen Analyse waren abseits des kreativen Prozesses also auch die Untersuchung der von Picasso verwendeten Pigmente und Materialien per se, die er zur Zeit seiner Ausbildung wählte.
Das scheint geglückt. Untersucht wurde etwa Hombre con boina (1895, dt. Mann mit Baskenmütze) – wie oft in seiner Karriere hat Picasso auch bei diesem Werk bereits Gemaltes übermalt. Damit sei laut Jiménez allerdings kein Recyclinggedanke verknüpft gewesen. Sie ist überzeugt, dass der Künstler seinerzeit nicht aus ökonomischen Gründen übermalte, sondern die Motivation hierzu schlichtweg in seiner Experimentierfreude lag – ging es ihm doch um die besondere Textur, die seine Arbeiten just dadurch erreichten, über anderen gemalt worden zu sein.
So offenbart Mann mit Baskenmütze unter Röntgenstrahlen etwa zwei Tauben. Wobei es laut Jiménez in diesem Fall durchaus sein könne, dass der junge Picasso auf ein unfertiges Gemälde seines Vaters, José Ruiz, malte, dem Tauben ein beliebtes Motiv waren. Gleich drei Anläufe soll der junge Pablo dagegen für die Leinwand mit dem Porträt Josep Cardona i Furró (1899) genommen haben. Ihm zuunterst befindet sich eine Dachlandschaft aus Barcelona – farbenfroh und noch nicht im Stil der Blauen Periode.
Picasso mit Anmerkungen
Ein nackter Torso liegt indes unter Retrato de un desconocido al estilo de El Greco (1899, dt. Porträt eines Unbekannten im Stile El Grecos). Jener dürfte eine Arbeit aus Picassos Studienzeit sein, darauf weisen Anmerkungen und die Beurteilung durch seinen Professor hin, mit welchen er versehen ist.
In den Tiefen des Autorretrato con peluca (1900, dt. Selbstporträt mit Perücke) wiederum fand sich nebst dem Gesicht des Künstlers ohne Perücke auch das Bildnis eines Mannes mit überdimensioniertem Hut. Es soll sich dabei um seinen Freund Pompeu Gener handeln, einen Journalisten, mit dem Picasso damals, wie auch andere der avantgardistischen Szene, das berühmte Künstlercafé Els Quatre Gats in der katalanischen Metropole frequentierte.
Ausstellung in Málaga
In Málaga widmet sich das Picasso-Museum übrigens aktuell dem Einfluss des berühmtesten Sohnes der Stadt auf die Malerei der klassischen Moderne in Deutschland, seien es die Expressionisten des Blauen Reiters oder die Dada-Strömung. Noch bis 21. Februar sind in diesem Zuge mehr als 200 seiner Arbeiten ausgestellt, dazu kommen Leihgaben von 20 Malern aus dem deutschsprachigen Raum – darunter Max Beckmann, Max Ernst, George Grosz, Hannah Höch, August Macke, Emil Nolde oder Max Pechstein. (Jan Marot aus Barcelona, 1.1.2016)