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Abgeordnete der oppositionellen "Bürgerplattform" bei der Abstimmung im Parlament

Foto: APA/EPA/PAWEL SUPERNAK

Zuerst das Präsidialamt, dann Parlament und Regierung – und jetzt auch das Verfassungsgericht. Die polnische Regierungspartei PiS erweitert ihre Machtbasis im Eiltempo. Kritik weisen die Nationalkonservativen als "beleidigend" zurück.

Die rechte polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat trotz Warnungen der EU-Kommission das Verfassungsgericht geschwächt. Der nationalkonservative Parteichef Jaroslaw Kaczynski ließ die Einspruchsmöglichkeiten des Verfassungsgerichts gegen Entscheidungen der Regierungsmehrheit im Parlament drastisch einschränken.

Die umstrittene Gesetzesnovelle über das höchste Gericht wurde erst am Dienstag vom Unterhaus des Parlaments gebilligt und im Eiltempo noch in der Nacht auf Donnerstag durch die zweite Parlamentskammer, den Senat, gebracht. Noch am Vortag hatte die EU-Kommission die Regierung vergeblich davor gewarnt, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts einzuschränken. EU-Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans forderte eine Überprüfung der Gesetzesänderung.

Korrektiv ausgeschaltet

Sobald Präsident Andrzej Duda die Novelle unterzeichnet, tritt sie mit sofortiger Wirkung in Kraft. Die Regelung schaltet nach Ansicht von Kritikern das Verfassungsgericht als Korrektiv zur PiS-Parlamentsmehrheit praktisch aus. Unter anderem ist darin festgelegt, dass künftig eine Zweidrittelmehrheit statt der bisher einfachen Mehrheit der Verfassungsrichter notwendig ist, um Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit abzulehnen.

Da die PiS bereits einen Teil der Verfassungsrichter durch eigene Kandidaten ersetzte, kann sie sich auf eine Sperrminorität verlassen, die einen Einspruch gegen ihre Gesetze unmöglich macht. Das Verfassungsgericht in seiner bisherigen Zusammensetzung erklärte die Entscheidung zwar für rechtswidrig, dennoch unterzeichnete Duda die Ernennungen der neuen Richter.

Justizexperten warnen

Wie die Nachrichtenagentur PAP am Donnerstag berichtete, legt das Gesetz den Richtern noch eine weitere Fessel an: Sie müssen die ihnen vorgelegten Fälle künftig streng nach Reihenfolge des Eingangs bei Gericht bearbeiten. Wenn es also bei einem Fall Probleme gibt, könnten solange keine weiteren entschieden werden. Damit könne das Gericht völlig "gelähmt" werden, warnten Justizexperten.

Bei führenden Juristen des Landes rief der Plan der Regierungspartei Entsetzen hervor. Noch während der Senatsdebatte verlangte die Richtervereinigung Iustitia am Mittwochabend von den Abgeordneten, "die Gesetzesnovelle als Ganzes" abzulehnen.

Die liberale frühere Regierungspartei Bürgerplattform (PO) brachte noch am Mittwoch Klage gegen die Gesetzesnovelle ein – beim Verfassungsgericht. An den beiden vergangenen Wochenenden hatten Zehntausende Polen gegen die von ihnen befürchtete "Gefährdung der Demokratie" protestiert.

Duda beleidigt

Kritik kam auch von der EU-Kommission und ausländischen Politikern. Die für Demokratien notwendige Gewaltenteilung sei nicht mehr gewährleistet, lautet der Tenor der Kritiker in Polen, die einen "schleichenden Staatsstreich" befürchten. Dass sich auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz so äußerte, bezeichnete Duda im Gespräch mit dem "Spiegel" als "Beleidigung" für sich und viele Bürger.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, dessen Land noch die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hatte sich bestürzt geäußert. "Was in Warschau passiert, ist so, als ob man in Deutschland das Bundesverfassungsgericht in Karlruhe mundtot machen wollte", hatte er Reuters gesagt. "Die Entwicklung in Warschau erinnert leider an den Kurs, den auch diktatorische Regime gegangen sind." Die EU-Kommission müsse die polnische Regierung daher Anfang 2016 vorladen und die Vorgänge genau prüfen.

Außenminister Witold Waszczykowski zeigte sich bemüht, die Wogen zumindest etwas zu glätten: Er habe die Venedig-Kommission, ein beratendes Gremium des Europarates, um eine Stellungnahme gebeten. Es solle geprüft werden, ob die neue Regelung zum Verfassungsgericht dem Prinzip der Gewaltenteilung widerspreche. (APA/Reuters, 24.12.2015)