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Die Proteste gegen den Zahnarzt Walter Palmer wurden auch offline ausgetragen

Foto: AP/Mone

An sogenannten Shitstorms hat es 2015 wahrlich nicht gefehlt: Fast jede Woche wurde ein neuer Übeltäter ausgemacht, der in zahlreichen Tweets und Facebook-Posts digital massakriert wurde. Durchs Dorf getrieben wurden Simulanten, Tierquäler und Hedgefund-Manager, die für moralische Empörung sorgten. Doch zusehends wurde im vergangenen Jahr auch darüber diskutiert, welche schadhaften Konsequenzen der Onlinepranger für Betroffene hat – die oft noch Jahre später unter den Folgen leiden.

Ernsthafte Konsequenzen

So sorgte der britische Journalist Jon Ronson mit einem neuen Buch ("So you've been publicly shamed") dafür, dass der Fall der US-Amerikanerin Justine Saecco wieder auf die Agenda gelangte. Saecco erlangte zweifelhaften Ruhm durch einen humoristisch misslungene Tweet, den sie bei einer Reise nach Südafrika abgesetzt hatte. "Fahre nach Afrika. Hoffe, ich bekomme kein Aids – nur ein Scherz, ich bin ja weiß!", schrieb Saecco (übersetzt, Anm.), die sich nach eigenen Angaben ironisch über naive Touristen äußern wollte.

Zahlreiche Menschen bekamen den Tweet jedoch in den falschen Hals, wenige Stunden nach Veröffentlichung verlor Saecco ihren Job. Erst nach zwölf Monaten, in denen sie psychologische Betreuung in Anspruch nehmen musste, konnte Saecco den Shitstorm verarbeiten, wie Ronsons Buch enthüllte.

Krebs simuliert

2015 gesellten sich zahlreiche Personen zu Saecco. Für Aufsehen sorgte beispielsweise die 24-jährige australische Bloggerin Belle Gibson. Über mehrere Monate betrieb sie einen Blog, in dem sie über ihre vermeintliche Krebserkrankung berichtete. Die heimtückische Krankheit soll sie allein durch gesunde Ernährung und alternative Medizin kuriert haben. Eine glatte Lüge: Gibson hatte nie Krebs – und soll Spenden veruntreut haben. Mittlerweile läuft ein Gerichtsprozess gegen sie.

Menschen bewerten

Einen Shitstorm mittlerer Größenordnung hatte sich auch die US-Amerikanerin Julia Cordray eingefangen. Sie entwickelte eine App namens "Peeple", mit der Nutzer andere Menschen bewerten konnten. Dass das Konzept problematisch war, begriff Cordray nicht – sie fragte allerdings bald nach, wie man Kommentare auf Facebook löschen konnte. Die Menschenbewerterin wollte nicht, dass ihre App bewertet wird – zum Shitstorm gesellte sich einiges an Häme und Spott.

"Christliche Pizzeria"

Eine große Rolle spielte vergangenes Jahr auch die Frage der Gleichberechtigung von homosexuellen und transsexuellen Personen. Immer öfter wollten sich Menschen Diskriminierung nicht gefallen lassen und konnten im Netz auf zahlreiche Unterstützer zählen. Ein Beispiel dafür ist die "Memories Pizza"-Pizzeria in der US-Stadt Walkerton in Indiana. Deren Besitzer gaben an, eine "christliche Pizzeria" zu sein und homosexuelle Paare nicht bedienen zu wollen. Der Shitstorm folgte sofort, doch auch die "Gegenseite" machte mobil – und spendete der Pizzeria über 840.000 Dollar.

Diskussionen über Diskriminierung

Für Kontroversen sorgte auch die Standesbeamtin Kim Davis, die trotz einer Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe verweigerte. Dafür musste Davis zeitweise sogar ins Gefängnis. Im Internet lieferten sich Anhänger und Kritiker heftige Scharmützel, die Davis für einige Tage zum weltweiten Twitter-Trend machten. Für Streitereien sorgte auch eine US-Amerikanerin namens Rachel Dolezal, die als Afroamerikanerin lebte und beruflich für Gleichbehandlung kämpfte. Reporter fanden jedoch heraus, dass Dolezal zahlreiche falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht hatte und tatsächlich deutsche und tschechische Vorfahren hat.

"Löwen-Killer"

Die größten Reaktionen lösten allerdings zwei Männer aus, die durch ihre Aktionen auch ernste Schwierigkeiten mit dem Gesetz bekamen. Weltweit bekannt wurde der Zahnarzt Walter Palmer, der in Simbabwe die 13-jährige Löwin Cecil tötete. Eine illegale Aktion, die Palmer Millionen an wütenden Tweets und E-Mails beschert haben soll. An der Spitze der meistgehassten Personen sieht die "Washington Post" allerdings den Hedgefunds-Manager Martin Shkreli: Er hatte aus Profitgründen den Preis für ein Aids-Medikament von 13 Dollar auf 750 Dollar erhöht.

Medikamente verteuert

Shkreli, der den Hass offensichtlich genoss, startete daraufhin einen eigenen YouTube-Kanal, auf dem er mit seinem Reichtum protzte. So erwarb er die einzige Kopie eines Albums des "Wu Tang-Clans" und prahlte damit, Anfragen für 100 Rendezvous pro Tag zu bekommen. Vor wenigen Tagen wurde Shkreli von US-Behörden verhaftet, der Vorwurf lautet auf gewerbsmäßigen Betrug. Um es vorsichtig auszudrücken: Das Netz hat die Verhaftung nicht gestört. (fsc, 6.1.2016)