Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy will trotz hohen Verlusten eine Regierung bilden, hat dafür aber keine Mehrheit.

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"Sie vertreten uns nicht", schrien die Empörten vor vier Jahren und ernteten von den beiden großen spanischen Parteien ein müdes Lächeln. Wer das System verändern wolle, müsse nur eine Partei gründen, wurde ihnen mit zynischem Ton empfohlen. Gesagt, getan. Mit Podemos (Wir können) ist die Welle der Empörung jetzt im Parlament angekommen. In einem Szenario, in dem stabiles Regieren so gut wie unmöglich ist, wird die erst vor knapp zwei Jahren entstandene Antiausteritätspartei die Mitte des Spielfelds belegen, wie sie das nennt.

Harte Angriffe, Umfragen, die alles andere als die Realität widerspiegelten, die Erfindung einer "rechten Podemos", zu der die rechtsliberalen Ciudadanos hochgeschrieben wurden –die Strategie ging nicht auf. Das Ergebnis der spanischen Parlamentswahl spricht deutliche Worte. Das Zweiparteiensystem, das 30 Jahre für Regierungswechsel sorgte, die eine Vielfalt vorspiegelten, die in der realen Politik nicht existierte, ist Geschichte. Podemos wird die Themen der kommenden Legislaturperiode diktieren, daran besteht kein Zweifel. Soziale Forderungen, das Ende der Sparpolitik, der Ruf nach Änderung des ungerechten Wahlsystems, die Frage eines multinationalen Spanien stehen jetzt auf der Tagesordnung. Wer das nicht sehen will, wird bei kommenden Wahlen, egal ob in vier Jahren oder gar schon früher, weitere Stimmen verlieren.

Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy will erneut eine Regierung bilden und hat dafür keine Mehrheit. Die PSOE meldet ebenfalls Begehrlichkeiten an. Die Sozialisten seien dazu aufgerufen, den Wandel anzuführen, verkündeten mehrere PSOE-Sprecher in der Wahlnacht, als wäre das einzig und allein eine Frage der Zahlen, eine Frage dessen, ob man knapp vor Podemos liegt oder nicht. Um Terrain zurückzugewinnen, genügt es nicht, Parolen und den Stil von Podemos zu kopieren. Es braucht einen Kurswechsel um 180 Grad.

Doch Spaniens Sozialisten haben längst – wie ihre Schwesterparteien im Großteil der EU – aufgehört, eine linke, fortschrittliche, an den Bedürfnissen der Menschen statt an denen der Märkte orientierte Politik zu vertreten.

Es gibt genau einen einfachen Ausweg aus der Unregierbarkeit: die große Koalition. Der Druck der spanischen Wirtschaft, der Druck ihrer Altvorderen wie des ehemaligen Regierungschefs Felipe González und der Druck aus Brüssel und Berlin, die PSOE zu einem solchen Bündnis zu bewegen, werden stark sein. Geben Spaniens Sozialisten dem nach, ist das ihr endgültiges Aus und der endgültige Durchbruch für Podemos.

Der Einzige, der sich gelassen auf seinem Sitz im neuen Parlament zurücklehnen kann, ist Podemos-Chef Pablo Iglesias. Die Zeit – und die Fehler der anderen – wird für ihn arbeiten. (Reiner Wandler aus Madrid, 21.12.2015)