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PiS-Chef Jarosław Kaczyński bei seiner Mission, die Eigenheiten Polens gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen.

Foto: Reuters/Pempel

Als ob die EU mit der Eurokrise, Griechenland, der Ukraine, dem Flüchtlingsstrom und dem drohenden Austritt Großbritanniens nicht schon genug Probleme zu bewältigen hätte – die größte Krise steht 2016 noch bevor. Die Entwicklung in Polen ist dramatisch und wird die Union in ihren Grundfesten erschüttern. Hier das Schreckensszenario, das meiner Ansicht nach recht wahrscheinlich ist.

In Polen ist mit der PiS unter ihrem Parteichef Jarosław Kaczyński seit kurzem eine Partei an der Macht, die weder die Grundwerte der EU noch demokratische Prinzipien respektiert. Sie steht in der Tradition des polnischen Faschismus der Zwischenkriegszeit und sieht als ihr wichtigstes Ziel, die besonderen Eigenheiten Polens gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen.

Für Kaczyński und seine Mitstreiter sind Kritiker Feinde und Volksverräter, die keinen Platz im politischen Leben des Landes haben.

Orbán ist geschickter

Kaczyński ähnelt darin anderen autoritären Machthabern mit einer demokratischen Legitimation wie Viktor Orbán, Wladimir Putin und Tayyip Erdoğan. Aber gerade die Unterschiede zu Orbán sind auffallend.

Orbán ist klüger und taktisch geschickter. Er hat seine Macht in Ungarn auch nach dem ersten triumphalen Wahlsieg 2010 schrittweise ausgebaut und ist zurückgewichen, wenn er zu viel Widerstand zu spüren bekam.

Orbán hat die Fähigkeit, auch andere in Europa von der Richtigkeit seines Kurses – etwa in der Flüchtlingspolitik – zu überzeugen. Er stellt sich zu diesem Zweck vor das Europaparlament in Straßburg und hält rhetorisch geschliffene Reden oder verteidigt sich wortgewandt vor Journalisten. Dennoch haben viele das Gefühl, dass der einstige Liberale nicht alles glaubt, was er sagt, sondern opportunistisch handelt.

Von Verschwörungstheorien überzeugt

Kaczyński war nie ein Liberaler, selbst nicht in der Anfangszeit der Oppositionsgewerkschaft Solidarność. Er scheint von seinen reaktionären Ansichten und all den von ihm vertretenen Verschwörungstheorien überzeugt zu sein – auch dass Russland den Tod seines Zwillingsbruder Lech beim Absturz in Smolensk 2010 absichtlich herbeigeführt hat.

Orbán will Europa nach rechts führen, Kaczyński ist die EU egal. Er wird niemanden zu überzeugen versuchen.

Verfassungsgericht wird lahmgelegt

Die PiS betreibt den Umbau des polnischen Staates und den Abbau der Demokratie in Rekordtempo. Die am Mittwoch vom Parlament beschlossene De-facto-Lahmlegung des Verfassungsgerichts ist in Europa einmalig.

Die PiS dürfte auch mithilfe willfähriger Richter Ex-Premier Donald Tusk wegen der Verschwörung von Smolensk anklagen und es dem EU-Ratspräsidenten damit unmöglich machen, in sein Heimatland zu reisen. Denn die EU kann ihm keine diplomatische Immunität verleihen.

Der Opposition bleibt nur die Straße

Nun kommt hinzu, dass der PiS anders als Ungarns Fidesz immer noch eine selbstbewusste proeuropäische Opposition entgegensteht, die gegen diesen schleichenden Putsch ankämpfen wird. Sie vertritt die Mehrheit der Bevölkerung. Aber da die PiS mit dem Präsidentenamt, beiden Parlamentskammern und bald auch dem Verfassungsgerichts alle politischen Machtzentren beherrscht, bleibt den Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft nur die Straße.

Kaczyński und seine Marionetten in Regierung und Präsidentenamt, Beata Szydło und Andrzej Duda, werden das wohl nicht hinnehmen, sondern sich mit allen Mitteln wehren. Genauso wie in der Türkei wird Tränengas im kommenden Jahr zum ständigen Begleiter der polnischen Politik werden, und auch Blutvergießen ist vorstellbar. Weder die PiS noch die Opposition werden zu Kompromissen bereit sein. Lech Wałęsas Warnung vor dem Bürgerkrieg kann sehr wohl Wirklichkeit werden.

Auf Koalitionspartner nicht angewiesen

In der ersten Regierungszeit 2006 bis 2007 war die PiS auf Koalitionspartner angewiesen, mit denen sie sich zerstritt. Diesmal hat sie eine absolute Mehrheit. Eine innerparteiliche Revolte gegen Kaczyńskis autoritären Kurs ist zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich. Wenn er etwas beherrscht, dann den Umgang mit internen Kritikern.

Polens Wirtschaft, das Erfolgsmodell Osteuropas, wird darunter massiv leiden, was die Spannungen aber noch weiter erhöhen wird. Der Złoty wird abstürzen, ebenso die Warschauer Börse, und die Auslandsinvestitionen werden aufhören. Aber Kaczyński wird all das nur als Beweis dafür sehen, dass das Ausland und die Finanzmärkte sich gegen ihn und seine Heimat verschworen haben.

EU kann Stimmrechte aussetzen

Wie soll die EU mit einer solchen Herausforderung umgehen? Die milliardenschweren Strukturfonds, von denen Polen besonders profitiert, sind bis 2020 festgeschrieben und können nur sehr mühsam gekürzt werden. Die stärkste Waffe der Union ist Artikel 7 im Lissaboner Vertrag, der die Aussetzung der Stimmrechte für Mitgliedsstaaten vorsieht, die die Grundrechte systematisch verletzen. Aber nicht einmal das wird die PiS beeindrucken.

Auch der Nato fehlen die Druckmittel, und wie wenig sich die neue Regierung um die Partnerschaft mit der Nato schert, hat sie mit ihrem Überfall auf eine Nato-Einrichtung schon bewiesen. Die PiS sieht Polen zwar von Russland militärisch bedroht, aber Putin hat keinen Grund, gegen das Nachbarland etwas zu unternehmen. Im Gegenteil: Er wird Kaczyński umgarnen, um so die EU weiter zu spalten.

Polen kann nicht ausgeschlossen werden

Das ultimative Druckmittel der EU-Partner wäre die Drohung mit dem Ausschluss, aber der ist in den Unionsverträgen nicht vorgesehen. Je hilfloser die europäischen Partner jedoch gegenüber solchen Entwicklungen in Polen wirken, desto mehr droht die EU weiter an Autorität und Einfluss zu verlieren. Ein Polen, das nicht ausgeschlossen werden kann, ist schlimmer als ein Großbritannien, das von selbst austritt.

Wohin das führen wird, ist völlig unklar. Aber es gibt Grund, tiefpessimistisch zu sein – für Polen und für Europa. (Eric Frey, 23.12.2015)