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Peter Handkes literarische Annäherung an den Balkan war mitunter von heftigen Kontroversen begleitet. Einer, dem in diesem Annäherungsprozess eine nicht unwichtige Rolle zukommt, und der dennoch nicht stark in Erscheinung tritt, ist Žarko Radaković, Handkes Übersetzer ins Serbische und selbst ebenfalls Autor. Radaković begleitete Handke auf mehreren Balkanreisen. In Handkes Reisebericht "Eine winterliche Reise zu dem Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien", erschienen 1996 im Suhrkamp Verlag, wird Radakovićs Rolle als Übersetzer, Dolmetscher und Begleiter literarisch dokumentiert. Ein Gespräch über die exklusive Autor-Übersetzer-Beziehung sowie über das Leben und Schreiben in oder zwischen zwei Sprachen

derStandard.at: Sie übersetzen und schreiben auch selbst. Als Übersetzer ist Ihr Name ausschließlich mit dem Namen Peter Handke verbunden, man könnte auch sagen, Sie stehen im Schatten dieses berühmten Namen. Wie kam es dazu, dass Sie Handkes Übersetzer ins Serbokroatische wurden?

Žarko Radaković: Ich bin kein "gewöhnlicher" Übersetzer. Wer nur einen einzigen Autor übersetzt, ist kein "klassischer" Übersetzer. Indem ich Handke übersetze, lese ich ihn aus der Nähe und studiere sein Werk. Ich begeistere mich für Handke als Schriftsteller und konnte nicht ablehnen, als mir 1983 angeboten wurde, "Wunschloses Unglück" zu übersetzen. Mit Handkes Schreiben habe ich mich allerdings auch anderweitig beschäftigt, indem ich wissenschaftliche Arbeiten darüber verfasste oder mich an Publikationen über Handke beteiligte.

derStandard.at: Das Übersetzen ist für Sie also nur eine von mehreren Möglichkeiten, sich mit dem Werk Handkes auseinanderzusetzen?

Radaković: Ja, das Übersetzen war in diesem Zusammenhang nur eine adäquate, zusätzliche Aktivität. Indem ich Handkes Texte übersetze, nähere ich mich diesem Autor und erforsche seine Arbeit.

derStandard.at: Sie leben schon lange in Deutschland. Inwiefern setzen Sie sich als Privatperson und als Autor mit dem Thema Migration auseinander?

Radaković: Ich betrachte mich selbst nicht als Migranten, obwohl die Migration eines der wichtigsten Themen meines Schreibens ist. Aber ich, ein Migrant? – ich denke, ich lebe einfach mein Leben, mehr oder weniger normal, und kämpfe mit den Problemen des Alltags. Ob das die Probleme eines Emigranten sind, sei dahingestellt. Die Emigration trägt einen ideologischen Beigeschmack in sich, und das sollte nie das Wesen der Kunst ausmachen.

Psychologisch betrachtet ist der Zustand des Emigranten jedoch durchaus "interessant", weil man als Migrant die Dinge auf mehrere Arten betrachten kann. Ich neige sogar dazu, von einer Schizophrenie oder einer Schielkrankheit des Migranten zu sprechen. Der Migrant ändert ständig seinen Standort, er ist Veränderungen unterworfen, mal ist er "von irgendwoher", dann wieder "von hier". Als Migrant ist man stets hellwach, man ist weniger entspannt als die "Hiesigen". Das ist in der Tat anstrengend, aber auch bereichernd.

Ich bin sicherlich nicht mehr der gleiche, der ich war, als ich nach Deutschland kam. Die historischen Ereignisse haben sich in eine gewisse Richtung entwickelt, und vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Aber die Menschen sind ja wie Ratten, sie passen sich schnell an Veränderungen an. Auch eine starke Bestrahlung kann man überleben, ebenso wie die Umbrüche, die im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der neunziger Jahre stattgefunden haben.

derStandard.at: Sie leben und arbeiten in zwei Sprachen oder zwischen zwei Sprachen. Welche Texte verfassen Sie auf Deutsch und welche in Ihrer Muttersprache, und wie bezeichnen Sie Ihre Muttersprache heute?

Radaković: Ich habe mich vor langer Zeit dafür entschieden, literarische Texte, insbesondere Lyrik und lyrische Prosa, primär in meiner Muttersprache zu schreiben. Was die Bezeichnung dieser Sprache anbelangt, so frage ich mich weiterhin, ob das Serbische im Vergleich zum Kroatischen eine eigene Sprache bildet. Könnte man nicht sagen, dass Sprachen, deren Grammatik gleich ist und deren Wortschatz ebenfalls mehr oder weniger gleich ist, einfach eine Sprache bilden? Leider wurde für diese "eine" Sprache seinerzeit kein adäquater Name gefunden.

Selbstverständlich schreibe ich inzwischen auch auf Deutsch, aber es handelt sich dabei meist um diskursive Texte, Essays, theoretische Abhandlungen und Ähnliches. Meine eigene Literatur schreibe ich aber in meiner Muttersprache, weil es mir so leichter fällt, meine Erlebnisse, Gefühle und Beobachtungen in einen Text zu übertragen.

derStandard.at: Sie erwähnten Erlebnisse. Wie wichtig ist Ihnen das eigene Erleben für das Schreiben?

Radaković: Ich denke, das eigene Erleben ist die wichtigste Triebfeder für den literarischen Ausdruck. Künstler und Literaten sehe ich nicht als Experimentleiter in einem Labor, wo die Möglichkeiten des literarischen und künstlerischen Ausdrucks erforscht werden. Ein Schriftsteller ist nur dann gezwungen zu "experimentieren", wenn er selbst nichts erlebt. Was aus solchen Experimenten entsteht, kann im Hinblick auf die Form von Bedeutung sein. Die Form ist jedoch untrennbar mit dem Inhalt verbunden. Der Inhalt, also das Erleben selbst, findet naturgemäß seine Sprache oder seine "Form." Die Suche nach der Form ist resultiert aus der Suche nach dem Erleben. Aber das Erleben muss man eigentlich nicht suchen, denn es ist einfach da. Das liegt in der Natur der Sache. (Mascha Dabić, 18.12.2015)