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Dem einen oder anderen Regierungschef waren andauernde Anspannung und Erschöpfung im Job beim Eintreffen zum letzten EU-Gipfel des Jahres anzusehen. Rechnet man alle regulären, außerordentlichen und sonstigen Treffen zusammen, kommen Europas Regierende heutzutage gut einmal im Monat zusammen, um über gemeinsame Lösungen zu beraten. Die anderen Treffen in internationalen Formaten, ob bei den UN, G7, G20, Nato und so weiter, sind da noch gar nicht mitgerechnet.

Das politische Geschäft ist in den Mitgliedsländern mit fortschreitender Integration und vor dem Hintergrund von Globalisierung und digitaler Vernetzung zu einer Art permanenter Innenpolitik auf höherer Ebene geworden. Es gibt praktisch kein einziges wichtiges Thema mehr, das innerhalb nationaler Grenzen allein zu lösen wäre: Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung, Umwelt, Sicherheit, Währungsfragen, Steuern, Migration, Flüchtlinge und, und, und.

Dennoch müssen die Staats- und Regierungschefs am Ende eines extremen Arbeitsjahres feststellen: Kaum ein Problem wurde gelöst. Das Jahr begann mit den Terroranschlägen in Paris ("Charlie Hebdo"), gefolgt von der Kriegsgefahr in der Ukraine – was zum Minsk-Abkommen führte, aber nicht zum Frieden.

Im Frühjahr ging es weiter mit dem Sinken zweier großer Schiffe vor Lampedusa mit mehr als 1.100 Toten – das Flüchtlingsproblem blinkte auf. Das wurde aber bald wieder verdrängt von langen Streitereien um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Die Wirtschaftskrise dauert an.

Im August eskalierte das Flüchtlingsproblem zum zweiten Mal auf der Balkanroute, wurde dann erneut von anderen Großkrisen – dem militärischen Eingreifen Russlands in Syrien, dem Terror in Paris – überlagert.

So steht die Union jetzt da, mit dem Ausblick auf das neue Jahr: Die alten Krisen bleiben. Die Probleme, die sich aus dem Zuzug von Kriegsflüchtlingen aus Syrien und Migranten aus anderen Krisengebieten Asiens und Afrikas ergeben, sind dabei vermutlich am schwierigsten zu lösen. Das Leid der Menschen wird sehr unmittelbar sichtbar, wie der Neid bei denen, die sich von Fremden bedroht fühlen.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass die EU-Staaten bei genau diesem Thema untereinander am heftigsten zerstritten sind. Die Regierungschefs spüren dabei den Druck ihrer in vieler Hinsicht aufgebrachten Bürger stark.

Kein Zufall ist es aber auch, dass gemeinschaftliche Institutionen – Kommission, Parlament – dabei gescheitert sind. Zwei Beispiele: Eine Union, die zulässt, dass 1,5 Millionen Menschen ihre Grenzen illegal überschreiten, hat ein Problem – und kein Instrument, das zu verhindern. Und eine Union, die im Mai beschließt, 40.000 Flüchtlinge auf 26 Staaten aufzuteilen, aber nur 184 bis heute wirklich verteilt hat, ist zu bedauern. Die Kommission hat sich redlich bemüht, keine Frage. Schuld daran ist der Unwille der Staaten. Wir Europäer müssen einsehen, dass ohne Nationalstaaten, ohne Regierungen, nichts geht.

Insofern war es folgerichtig, dass sich eine "Koalition der Willigen" mit dem mächtigen Duo Deutschland und Frankreich gebildet hat, die Taten setzen will. Gut, dass Österreich dabei ist. Ob man schon in wenigen Wochen Erfolge sehen wird, ist fraglich. Dazu muss ein komplexes Aufgabenbündel abgearbeitet werden. Aber ein Anfang ist gemacht: 2016 könnten Hilfen für Flüchtlinge weniger chaotisch laufen. (Thomas Mayer, 17.12.2015)