Schutz vor der angeblich moralisch verfallenen Gesellschaft, Exklusivanspruch auf Gott: Manche islamische Kindergärten und Lerngruppen verfolgten gefährliche Ziele, warnt Experte Khorchide.

Foto: Imago
Foto: APA/Neubauer

STANDARD: Eine umstrittene Studie rückt islamische Kindergärten in den Verdacht, Parallelgesellschaften vorzubereiten. Zu Recht?

Khorchide: Ich will nicht pauschalieren: Natürlich sind nicht alle islamischen Kindergärten in Wien fundamentalistisch, die Betreiber haben unterschiedliche Motive. Manche wollen einfach gutes Geld verdienen, andere Raum für die eigene Religiosität schaffen, den es in anderen Kindergärten nicht gibt – damit Kinder nicht nur Weihnachten und Ostern, sondern etwa auch das Opferfest feiern können. Hinter einigen Kindergärten und Lerngruppen steckt aber die Motivation, muslimische Kinder vor der Gesellschaft abzuschotten. Und das ist gefährlich.

STANDARD: Wovor genau wollen manche Muslime Kinder schützen?

Khorchide: Vor der nichtislamischen Gesellschaft, die dem Vorurteil nach als moralisch verfallen gilt. Eltern sind mit der Vielfalt überfordert, haben Angst vor Pluralität und dem Fremden an sich. Manche wollen ihre Kinder auch vor andersgläubigen Freunden schützen, weil sie Anspruch auf Exklusivität erheben: Gott gehört in ihren Augen nur dem Islam. Da werden Hierarchien im Namen Gottes hergestellt.

STANDARD: Wie viele Muslime sind anfällig für Abschottung?

Khorchide: Mit einer empirischen Studie kann ich nicht dienen, nur mit einer Schätzung, die auf anderen Erfahrungen basiert. Ich gehe davon aus, dass etwa 20 Prozent der Muslime zur Abschottung tendieren. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen zwangsläufig Radikale sind. Da bestehen einfach Ängste, denen mit Aufklärungsarbeit begegnet werden muss.

STANDARD: Wie?

Khorchide: Indem man Räume der Begegnung öffnet. Nichtislamische Kindergärten sollen die Möglichkeit schaffen, dass die Kinder zum Beispiel auch islamische Feste feiern; umgekehrt müssen sich islamische Kindergärten als österreichische statt als ethnisch und religiös homogene Einrichtungen definieren. Es braucht runde Tische, um Werte zu diskutieren und sich in der Mitte zu treffen – denn Vorurteile entstehen immer dort, wo man nicht miteinander redet, sondern übereinander. Dabei muss jedoch Klartext gesprochen werden. Ich finde es gut, wie Integrationsminister Sebastian Kurz das vormacht: Hier sind die Grenzen, so sind die Spielregeln – und die müssen ohne Wenn und Aber erfüllt werden.

STANDARD: Hat die Stadt Wien auf die Einhaltung dieser Regeln in den Kindergärten zu wenig geachtet?

Khorchide: Die Stadt hat hier in der Tat einiges entstehen lassen, ohne klare Kriterien zu definieren und genau nachzuschauen. Die nun angekündigte umfassende Studie, um authentische Informationen zu bekommen, ist hoch an der Zeit, darf sich aber nicht nur auf die Kindergärten beschränken. Was dort passiert, ist ja nur ein Symptom dessen, was die gleichen islamischen Verbände in den Moscheen machen. Was wird da gepredigt, was wird da gelehrt? Solch eine Untersuchung ist längst fällig. Man darf nicht warten, bis etwas passiert.

STANDARD: Vermuten Sie denn, dass in vielen Moscheen Problematisches gepredigt wird?

Khorchide: Diese Frage lässt sich ohne Studie eben nicht seriös beantworten. Ich will Moscheen auch nicht unter Generalverdacht stellen, mir geht es weniger um harte Kontrolle als um begleitende Aufklärung. Gerade im Kampf gegen Gewalt und Terror könnten Moscheegemeinden viel leisten, wären sie aufklärerisch tätig.

STANDARD: Sind sie das nicht?

Khorchide: Ich fürchte, dass viele traditionelle Moscheen an Jugendliche gar nicht mehr herankommen. Der Imam ist oft schwer erreichbar, wenn er denn überhaupt Deutsch spricht. Das Angebot der Salafisten ist viel attraktiver: Ihre Missionare predigen nicht nur auf Deutsch, sondern beherrschen auch die kulturelle Jugendsprache, sind aktiv auf Youtube und Facebook. Dass es in Wien nur vier oder fünf salafistische Moscheen gibt, sagt wenig, denn die Salafisten nutzen viele andere Kanäle.

STANDARD: An manchen Schulen wird Islamismus als regelrechter Jugendkult wahrgenommen.

Khorchide: Viele Jugendliche wissen wenig über ihre Religion, identifizieren sich aber stark damit. Sie sehen sich als Teil eines Kollektivs, das sich chronisch benachteiligt fühlt. Die Salafisten betreiben fleißig Sozialarbeit, geben den Jugendlichen das Gefühl, ernst genommen zu werden – anders als in vielen traditionellen Moscheen, die keine Alternative bieten: Mit Schwarz-Weiß-Antworten – was ist im Islam erlaubt, was ist verboten – ist niemandem geholfen. Es ist ein schweres jahrelanges Versäumnis, dass es in Österreich bis heute keine Möglichkeit gibt, Imame in deutscher Sprache und für den europäischen Kontext auszubilden.

STANDARD: Sehen Sie bei den Vertretern der muslimischen Gemeinde ein Problembewusstsein?

Khorchide: Viele muslimische Vertreter in Österreich verfallen schnell in eine Opferrolle. Sie verlegen sich rasch auf Verteidigung um jeden Preis, reden alles weg und vertuschen damit die Probleme. Amina Baghajati, Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hat die Frage, ob ihr die Existenz muslimischer Kindergärten bekannt sei, verneint – das kann doch nicht wahr sein. Angesichts solcher Antworten braucht sich die muslimische Gemeinde nicht wundern, wenn sie nicht mehr ernst genommen wird. Sie lässt Probleme wachsen, ohne etwas daran zu ändern. Da fehlt es an Selbstkritik.

STANDARD: Die Vorstudie des Religionspädagogen Ednan Aslan erntete viel methodische Kritik. Dass nun eine umfassende Untersuchung folgen soll, hält Fuat Sanaç, Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft, für "Aufhetzung".

Khorchide: Es ist die falsche Reaktion, die Person Aslan oder die einzelnen Details seiner Untersuchung anzugreifen. Richtig wäre, nach vorne zu schauen und die offengelegten Anhaltspunkte zu nützen, um nach Antworten zu suchen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft sollte von sich aus aktiv werden: Es sollte gerade im eigenen Interesse liegen zu wissen, wie Kinder erzogen werden.

STANDARD: Geht es um Terror und Salafismus, lautet die Reaktion oft: Das habe ja nichts mit dem richtigen Islam zu tun.

Khorchide: Genau dieses Argument macht den Menschen nur noch mehr Angst. Die Salafisten sind nun einmal Muslime, sie berufen sich auf den Koran und den Islam. Das kann man nicht einfach unter den Teppich kehren. Die Vertreter der Gemeinden müssen ein Gegenangebot stellen, indem sie sich für eine andere Auslegung des Islam starkmachen – und sie müssen aus der Opferrolle schlüpfen: Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern zwischen friedlichen und gewalttätigen Menschen. (Gerald John, 18.12.2015)