Im Notquartier im Wiener Ferry-Dusika-Stadion sind hunderte Asylwerber untergebracht, die eigentlich schon in Grundversorgung sind.

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Wien – Sechs große Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Rund 7.000 Flüchtlinge wohnen derzeit in Notunterkünften, die längst in Grundversorgungsquartieren schlafen sollten. Bis Jahresende fehlen laut Schätzung noch 15.000 Grundversorgungsplätze, hunderte Flüchtlinge seien von Obdachlosigkeit betroffen. Das Erstgespräch zum Asylverfahren, nach dem erst ein Verfahren eingeleitet werden kann, finde nicht nach 48 Stunden, sondern nach drei bis sechs Monaten statt. Derzeit gebe es rund 300 bis 400 Asylanträge pro Tag. Die Situation bei Sprachkursen sei verworren und unzureichend, außerdem brauche es einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber.

"Sozialer Sprengstoff"

"Wir haben Sorge, dass, wenn wir diese Aufgabe nicht rasch und entschlossen angehen, die sozialen Probleme von morgen programmiert sind. Das birgt großen sozialen Sprengstoff", sagte Walter Marschitz vom Hilfswerk am Dienstag. Er sowie Vertreter der Caritas, des Roten Kreuzes, der Diakonie, der Volkshilfe und des Arbeiter-Samariter-Bundes legten bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Lösungsvorschläge vor.

Zu deren Finanzierung gab es keinen geeinten Vorschlag. Bernd Wachter von der Caritas betonte aber, dass Investitionen in Qualifikationen und Spracherwerb sich langfristig rechnen: "Solche Zuwendungen nützen letztlich dem Sozialsystem." Gemeinsam fordern die Hilfsorganisationen daher, dass sich die Regierung und alle wichtigen Stakeholder an einen Tisch setzen und einen Masterplan ausarbeiten.

Jedem Land ein Erstaufnahmezentrum

Michael Chalupka von der Diakonie präsentierte einen Vorschlag der NGOs, wie das "zusammengebrochene Erstaufnahmesystem" wieder funktionieren könnte: In jedem Bundesland soll ein Erstaufnahmezentrum eingerichtet werden, die Kosten dafür sollen die Länder übernehmen. Dafür sollen dann 70 Prozent der Grundversorgung vom Bund getragen werden. Derzeit gilt ein Schlüssel von 60:40 zwischen Bund und Ländern.

Chalupka: Länderquartiere stehen teilweise leer

"Außerdem braucht es einen Mechanismus des Ausgleichs zwischen den Bundesländern", so Chalupka. Erst wenn jemand zum Asylverfahren zugelassen wird, kann er derzeit in ein Länderquartier übernommen werden. Auf dieses Zulassungsgespräch allerdings warten Betroffene derzeit monatelang. Zum Teil steht deshalb laut Chalupka von Ländern angebotene Quartiere leer.

Wien und Niederösterreich haben bereits eine Art Notsystem, das dem des Vorschlags ähnelt. Der Bund solle dabei unterstützend tätig sein. Erich Fenninger von der Volkshilfe will zudem mehr Transparenz bei Kosten und Tagsätzen. Zwischen Entgelten für Wohnen und für die Betreuung der Asylwerber müsse klarer getrennt werden. Und für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge solle ein Tagsatz von 120 Euro gelten.

Einheitliche Kompetenz für Sprachkurse

Mehr Klarheit fordern die Helfer auch bei Sprachkursen. Reinhard Hundsmüller vom Arbeiter-Samariter-Bund kritisierte, dass die meisten Personen erst mit positivem Abschluss des Asylverfahrens kostenlosen Zugang zu Deutsch-, Basisbildungs- und Hauptschulabschlusskursen erhalten. Das gehöre geändert, sonst gehe wichtige Zeit verloren. Für Sprachkurse sei derzeit großteils das Arbeitsmarktservice zuständig, zum Teil verschiedene Ministerien und die Länder. Hier brauche es eine klare Kompetenzverteilung, auf Bundesebene könne das AMS die Anlaufstelle sein.

Die NGOs lehnen zudem die Verschärfung des Asylgesetzes ab, sagte Werner Kerschbaum vom Roten Kreuz. Nötig seien mehr Investitionen in Traumabewältigung und Therapien, mehr Ressourcen für die Wohnraumsuche von Asylberechtigten und ein früherer Zugang zum Arbeitsmarkt. (spri, 15.12.2015)