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Premierministerin Beata Szydlo bei einer Debatte im Sejm.

Foto: APA / EPA / Radek Pietruszka

Warschau – Beata Szydlo, Polens neue Premierministerin, schaut gerne nach Deutschland. Im Wahlkampf posierte die rechtsnationale Politikerin vor verfallenden Fabriken, machte die Vorgängerregierung für dieses "Polen in Ruinen" verantwortlich, warnte vor Flüchtlingen und vor Wirtschaftsmigranten, legte die Hände zusammen, wie es normalerweise die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel tut, und rief dann ganz wie diese: "Wir schaffen das!"

Das Problem: Eigentlich ist alles ganz anders. Polen liegt nämlich keineswegs in Ruinen. Das Land gilt als Wunderkind unter den EU-Beitrittsländern von 2004. Die Wachstumsraten sind geradezu traumhaft, das Einkommen der Polen steigt und steigt, und dank der jährlichen Milliardenzuschüsse aus Brüssel liegt Polen heute zivilisatorisch fast gleichauf mit den meisten der alten EU-Staaten.

Angstmache

Während Merkel den Deutschen Mut macht, die vielen Flüchtlinge aufzunehmen und gut zu integrieren, jagen Beata Szydlo und Jaroslaw Kaczynski, der Chef der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), den Polen lieber Angst ein vor Flüchtlingen, denen häufig unterstellt wird, sie hätten ansteckende Krankheiten oder terroristische Absichten. Die von der liberalkonservativen Vorgängerregierung bereits zugesagte Aufnahme von insgesamt 7.000 Flüchtlingen soll neu verhandelt und möglichst auf null gesetzt werden.

Versuche, nach den Wahlen die Regeln zu ändern oder neu zu definieren, gibt es in mehreren Bereichen. Vor den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015 hatte die PiS den Verfassungsentwurf für eine "IV. Republik" von ihrer Website genommen, weil das Projekt angeblich "nicht aktuell" sei. Kaum aber regiert die Partei mit absoluter Mehrheit das Land, ist nichts aktueller als ebenjene Verfassungsänderung.

Dazu muss jedoch zunächst das Verfassungsgericht verunglimpft oder aber mit den eigenen Gefolgsleuten auf Linie gebracht werden. Denn jenes Verfassungsgericht könnte ansonsten die Pläne der PiS im Umgang mit dem Rechtsstaat in Polen verhindern.

Geködert hatte die PiS die Wähler mit einer ganzen Reihe sozialpolitischer Versprechungen: rund 120 Euro monatlich ab dem zweiten Kind, Absenkung des Rentenalters auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer, Erhöhung des Steuerfreibetrags, Abschaffung der "Müllverträge" ohne Krankenversicherung und Kündigungsschutz, kostenlose Medikamente für über 75-Jährige.

"Offene Rechnung"

Nicht erklären wollte die Partei bis jetzt, wie die vielen sozialen Wohltaten zu finanzieren seien. Dabei hatten Kritiker bereits während des Wahlkampfs auf die hohen Kosten hingewiesen. Doch Parteichef Jaroslaw Kaczynski konnte in den letzten Tagen nicht mehr an sich halten: Ausländer sollen zahlen – und zwar insbesondere Deutsche, verriet er jüngst dem nationalistischen Fernsehsender TV Republika.

Polen habe noch eine gewaltige Rechnung mit Deutschland offen – nicht nur moralisch, sondern auch finanziell, erklärte Kaczynski: "Diese Rechnung wurde in den 70 Jahren, die seit dem Krieg vergangen sind, niemals beglichen und ist im rechtlichen Sinne noch immer aktuell", zeigte sich Kaczynski überzeugt. "Unser Verzicht auf die Reparationen wurde niemals von den Vereinten Nationen registriert. Der Weg ist offen, und in Deutschland sollte man sich daran erinnern." (gl, 15.12.2015)