Im Original von Fellini gerät ein Schiff in einen Konflikt, weil es Bootsflüchtlinge aus Seenot rettet.

Foto: Matthias Horn

Seit dieser Spielzeit betreibt das Hamburger Schauspielhaus einen FAQ-Room. Dabei handelt es sich weder um eine reale Bühne noch um einen virtuellen Debattierklub, wo die Frequently Asked Questions einmal jenseits öffentlicher Hysterieanfälle erörtert – und vielleicht sogar beantwortet – werden können. Es ist bloß das flotte Logo einer Reihe, der man einen zusätzlichen Schuss Aufmerksamkeit spendiert. PR also.

Das Theater richtet an der meistfrequentierten Flaniermeile des öffentlichen Diskurses einen Showroom ein und dekoriert die Auslage mit den marktgängigen Dauersellern: Pasolini (genau vor vierzig Jahren ermordet, was Anlass gab, seinen Salò-Film zu zeigen), Zizek, Kluge, Theweleit, Houellebecq (eine szenische Adaption seines Romans Unterwerfung wird demnächst gezeigt). Wer fehlt? Sloterdijk! Kommt bestimmt auch noch.

Schiff der Träume, das jüngste Produkt der regieführenden Intendantin Karin Beier, kommt zwar ohne FAQ-Room-Label in den Handel, surft dafür umso dynamischer auf dem Kamm der aktuell mächtigsten Debattenwelle. Aber abgesehen davon, dass es abendländisches Theater seit den Tagen gibt, als ein Schauspieler aus dem Chor heraustrat und die Götter mit unangenehmen Fragen nervte, das Theater also seit jeher ein einziger FAQ-Room ist, kommt es auch darauf an, sich bei derlei Wellenreiten nicht den Hals zu brechen.

Schiff der Träume? Zur Erinnerung: 1983 erzählte Federico Fellini in E la nave va die Geschichte einer buntscheckigen Gesellschaft, darunter ein dicker habsburgischer Erzherzog, die im Juli 1914 (das Datum ist wichtig!) einen Luxusdampfer chartert, um die Asche einer Opernsängerin den Winden ihrer Heimatinsel zu übergeben. Als der Kapitän serbische Bootsflüchtlinge aus Seenot rettet und darob mit einem Stahlmonster von österreichischem Kriegsschiff in Konflikt gerät, jagt ein serbischer David den stählernen Goliath mit einer Handgranate in die Luft.

Dass der Film den sinnfreien deutschen Titel Schiff der Träume appliziert bekam, lässt vermuten, dass die deutschsprachigen Abendländer damals immer noch – oder schon wieder – von (serbischen) Attentätern (alb)träumten.

Wer aus dem eigentlichen Soundtrack die Trauermusik über eine Welt, die aus Überdruss am Müßiggang sich selbst versenkte, nicht heraushörte, muss schwerhörig gewesen sein. Karin Beier hat ein ganz feines Ohr für das Echo dieses europäischen Requiems, wie sie es nennt.

Es ist nicht denkbar, jemals einer derart ernsten und zugleich fröhlichen, derart gravitätischen und zugleich heiteren, übermütigen, albernen Trauerfeier beigewohnt zu haben. Die Tragödie ist eine einzige Komödie, so federleicht, dass man fürchten muss, die leichteste Brise könnte sie über die Reling pusten. Beier ist zwar nie ganz auf Fellinis Höhe (wer ist das schon?), aber stets so hinreißend stilsicher, dass selbst die derbsten Kalauernummern wie mit eleganter Liebenswürdigkeit imprägniert wirken.

Plötzlich laufen fünf dunkelhäutige junge Männer in bunten Klamotten federnden Schrittes mitten durch die Anbetung der Asche. Flüchtlinge? Piraten? Man weiß es nicht. Jedenfalls entern sie das Schiff, und jeder Widerstand ist zwecklos. "This is a Trauerfeier", versucht man ihnen zu erklären. Es ist aber viel schlimmer: This is a Katastrophe, ach was, this is the naked Elend.

Mikrofon ersetzt die Komödie

Zum Flüchtlingsdrama fällt dem Theater nichts ein. Nichts, das des Theaters wäre. An die Stelle der Komödie ist ein Mikrofon getreten, in das alle, wirklich alle Sentenzen, Behauptungen, Theoreme, Voreingenommenheiten, Propagandalügen, Statistiken, Politikerstatements und sonstigen Rechthabereien gebellt, doziert, kluggeschissen werden, die auf dem gegenwärtigen Diskursmarkt in Umlauf sind. Über eine geschlagene Stunde lang. Schließlich appelliert eine Schauspielerin, stellvertretend für alle: "Unsere Antwort kann nur eine künstlerische sein!" Prima! Und warum habt ihr sie uns dann vorenthalten? Die dazugehörige Frage ist nun wirklich ziemlich frequently asked. (Oswald Demattia aus Hamburg, 15.12.2015)