Rabat / El Aaiún / Madrid – Der "Frente Polisario", die Befreiungsbewegung der Westsahara, hat einen juristischen Sieg über Marokko und die EU errungen. Der EU-Gerichtshof erklärte am Donnerstag ein Freihandelsabkommen von 2012 zwischen dem nordafrikanischen Königreich und Brüssel für ungültig. Grund: Der Vertrag schließt die seit 1975 von Marokko völkerrechtswidrig besetzte spanische Exkolonie Westsahara mit ein. "Die Souveränität Marokkos über die Westsahara wird weder von der EU noch von deren Mitgliedsstaaten und auch nicht von den Vereinten Nationen anerkannt", heißt es im Urteil, gegen das Rabat und Brüssel binnen zweier Monate Widerspruch einlegen können.

Erstmals erkennt damit ein europäisches Gericht die Polisario als Konfliktpartner an und gesteht ihr Hoheitsrechte und Interessen über das Gebiet zu. Die Polisario hatte vor drei Jahren mit der Begründung geklagt, dass das Abkommen eine Form "wirtschaftlicher Ausbeutung mit dem Ziel, die Struktur der sahrauischen Gesellschaft zu verändern", sei.

Uno will Referendum

Ein Großteil der Bevölkerung der besetzten Gebiete lebt in Flüchtlingslagern in der algerischen Wüste rund um die Garnisonsstadt Tindouf. Seit 1991 versucht die Uno ein Referendum in die Wege zu leiten, in dem die Sahrauis über Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko entscheiden können. Dies scheiterte bisher an der Haltung Rabats: Marokko erkennt den Zensus, der von der Uno erstellt wurde, nicht an. König Mohamed VI. will Stämme aus angrenzenden Gebieten einschreiben lassen, um sich so eine Mehrheit für Marokko zu sichern.

Proteste in den besetzten Gebieten werden immer wieder gewaltsam niedergeschlagen. Wer für die Unabhängigkeit eintritt, riskiert hohe Haftstrafen, Folter oder gar Verschwinden.

Zwei weitere Klagen

Die Polisario hat zwei weitere Klagen in Europa eingereicht: zum einen gegen ein Importabkommen zwischen Großbritannien und Marokko und zum anderen gegen ein Fischereiabkommen mit der EU.

Das letzte Abkommen dieser Art stammt aus dem Jahr 2014 und sieht die Zahlung von 30 Millionen Euro an Marokko vor. Im Gegenzug dürfen 126 Boote in den Gewässern Marokkos – und vor allem in denen der besetzen Westsahara – fischen. Die Reeder zahlen dafür weitere zehn Millionen Euro. 99 der 126 Boote stammen aus Spanien. Das Land ist – so sieht es die Uno mit dem gültigen Völkerrecht in der Hand – bis heute Verwaltungsmacht der Westsahara, da der Landstrich durch die marokkanische Besetzung nie ordentlich entkolonialisiert wurde. Madrid kehrt aber seit Jahrzehnten den Sahrauis den Rücken. (Reiner Wandler, 11.12.2015)