"By the Sea": Angelina Jolie und Brad Pitt gehen in einem kammerspielartigen Psychodrama durch die Ehehölle. Während er sich im Hafen besäuft, beobachtet sie die flitternden Zimmernachbarn.


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Christian Berger (70) machte sich durch Filme mit Michael Haneke ("Caché", "Die Klavierspielerin") international einen Namen. Für "Das weiße Band" war er 2010 für einen Oscar nominiert.

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Universal Pictures Germany

Wien – Frankreich in den 1970er-Jahren: Ein US-amerikanisches Ehepaar landet in einem verschlafenen Küstenort und bezieht ein Hotelzimmer. Die Frau (Angelina Jolie), eine ehemalige Tänzerin, und der Mann (Brad Pitt), ein Schriftsteller, kämpfen mit Beziehungsproblemen, die offensichtlich das Resultat eines traumatischen Ereignisses sind. Während der Mann sich täglich im Café am Hafen betrinkt, entdeckt die Frau ein Loch in der Wand zum Nebenzimmer – in dem ein anderes Paar seine Flitterwochen verbringt. By the Sea ist ein kammerspielartiges Psychodrama, in dem Hollywoods prominentestes Ehepaar durch die selbstinszenierte Hölle geht.

STANDARD: Wie meldet sich ein Hollywoodstar bei einem österreichischen Kameramann?

Berger: Der erste Kontakt war anonym. Er bestand nur in der Anfrage, wann ich zur Verfügung stünde. Es war nicht zu erfahren wofür, bis tatsächlich Angelina Jolie selber angerufen hat. Das war ein wenig so wie dieser alte Witz, mit dem sich Kollegen aufziehen: "Hollywood is calling". Ich habe also das Drehbuch gelesen und war erstens davon beeindruckt, dass mich Jolie anruft – so ehrlich muss man sein –, und zweitens von der Idee, dass sie und Brad Pitt mit diesem Film ganz offensichtlich ein Klischee verlassen möchten. Und natürlich war es reizvoll, mit Stars zu arbeiten und es zugleich mit einer Regisseurin zu tun zu haben, die erst ihren dritten Film dreht.

STANDARD: War Ihre langjährige Zusammenarbeit mit Michael Haneke ausschlaggebend für diese Berufung?

Berger: Ein Grund war, dass die Geschichte in den 70er-Jahren spielt und sehr europäisch ist. Ihre Recherche hat Jolie schließlich zu mir geführt. Es war zwar nach den ersten Besprechungen klar, dass ich diesen "europäischen Touch" anders verstehe, aber über unser Einverständnis über die Nouvelle Vague sind wir dann zusammengekommen. Das Kino der 60er-Jahre hat mich ja geprägt. Aber es war wichtig, sich nicht an einzelnen Filmen dieser Zeit zu orientieren, also ihren Film nicht wie einen von Godard aussehen zu lassen, sondern ein Lebensgefühl zu vermitteln.

STANDARD: Der Film funktioniert über weite Strecken als Kammerspiel. Man hat das Gefühl, dass Sie sich in Innenräumen besonders wohl fühlen.

Berger: Eigentlich nicht. Natürlich kann man mit der Lichtsetzung in geschlossenen Räumen mehr bewirken, aber das Hotel und das Café, das Brad Pitt jeden Tag besucht, gab es ja nicht. Sie wurden in die leere Bucht gebaut, als eine Mischform zwischen Studio und Originalschauplatz. Das natürliche Licht, das ich liebe, ist bei solchen Verhältnissen ja eher ein Feind. Und ich liebe Landschaften, auch als Drehorte. Zu ihnen habe ich eine engere Beziehung als zu Räumen. Aber vielleicht ist es mir gerade deshalb gelungen, diese beengte Atmosphäre zu vermitteln.

STANDARD: Wie filmt man ein klaustrophobisches Szenario, bei dem sich die Figuren regelrecht ineinander verbeißen?

Berger: Man muss für das Alleinsein in einem Raum einen Ausdruck finden. Dazu kommt die Voyeursituation, wenn die Frau durch das Loch in der Mauer das Paar im Zimmer nebenan beobachtet. Dieses Ausspähen bedeutet ja ein weiteres Zurückgeworfensein auf sich selbst.

STANDARD: Es ist eher die Ausnahme, dass ein Regisseur die Hauptrolle übernimmt, und noch seltener der Fall, dass die Hauptdarstellerin zugleich Regisseurin ist. Wie hat diese Personalunion ihre Arbeit beeinflusst?

Berger: Gar nicht. Durch das Vertrauen, das wir ab einem gewissen Punkt zueinander haben mussten – vor allem sie zu mir – gab es auch keine Kontrolle. Im Gegenteil habe ich es mir manchmal gewünscht, dass sie sich bestimmte Einstellungen noch mal ansieht, aber das wollte sie nicht. Dieses Motto "If you’re happy, I’m happy" war mir sogar mitunter zuwenig. Aber manchmal war ich darüber auch froh.

STANDARD: Michael Haneke sieht die digitale Kameratechnik sehr positiv. Wie stehen Sie zu den Umbrüchen der letzten Jahre?

Berger: Grundsätzlich sehe ich Entwicklungen immer positiv. Es ist ja kindisch zu meinen, die Dampfmaschine war super. Und so ähnlich geht es mir mit der digitalen Technik. Ich war lange Zeit ein konkreter Gegner mit konkreten Argumenten – aber nicht deshalb, weil sie neu war und das Alte verdrängt hat, sonder weil da ein Hardware-Krieg voller Diffamierungen entbrannt war. Das Analoge musste erst kaputt gemacht werden, damit das Geschäft losgehen konnte. Den dummen Spruch "The future is now" höre ich seit vierzig Jahren, das geht mir auf den Keks. Dass wir Kameraleute das mitbefördern sollten, dagegen habe ich mich gewehrt – aber nicht gegen die Form.

STANDARD: Sie haben ja selbst stets neue Formen ausprobiert.

Berger: Ich habe Kleinvideo schon in den späten 70er-Jahren verwendet, das war damals mit Illusionen verbunden. Was mich schon immer gestört hat, war dieser Fundamentalismus. Ich hasse Fundamentalismus jedweder Art. Und das nun auch im Beruf zu erleben, hat mich wirklich angekotzt

STANDARD: Aber jede neue Technik schafft neue Möglichkeiten.

Berger: Natürlich, aber plötzlich waren jene, die auf das Analoge setzten, die alten Opas und Maschinenstürmer, und nur das Digitale war wunderbar. Und das ist Schwachsinn. Aber die wirklich Vernünftigen haben das ohnehin nicht behauptet, es war vielmehr ein inszenierter Hype mit kommerziellen Interessen. Diese Werkzeugdominanz hat mich schon immer gestört. Ich will übers Essen reden und nicht über das Besteck.

STANDARD: Wenn Sie wie in "By the Sea" eine Atmosphäre erzeugen möchten, die an das Kino der 70er-Jahre erinnert, sind Sie also mit einer dreißig Jahre alten Kamera trotzdem nicht gut bedient?

Berger: Es war nie eine Werkzeugfrage. Die Frage war, eine verkrustete Form aufzubrechen. Die Regisseure der Nouvelle vague haben die Kamera in die Hand genommen und sind damit mit dem Rollstuhl gefahren statt mit einem Dolly, und heute ist es eben die Befreiung von Studio- oder Budgetbeschränkungen. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, wir leben nicht in einem Western. Und es ist ein Fetischismus zu sagen, das Negativ hat so toll gerochen. Da kann man nur sagen: Kauf dir eine Rolle und geh‘ riechen. (Michael Pekler, 11.12.2015)