Wien – Andreas Böhm, Vorsitzender im Schöffenprozess gegen Rudolf W. um den schweren sexuellen Missbrauch unmündiger Buben, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. "Das ist ja absurd", schüttelt der Jurist den Kopf über die Verantwortung des 59-jährigen unbescholtenen Angeklagten. Es ist eine völlig korrekte Beobachtung, die Böhm macht.

W. bekennt sich nämlich nur zum ebenfalls angeklagten Besitz von Kinderpornografie schuldig. Kann er auch schwer abstreiten, schließlich wurden die Dateien auf seinem Computer gefunden. Dass er aber als Pfadfinderführer drei seiner Schützlinge zwischen 1994 und 2015 wiederholt missbraucht haben soll, streitet er vehement ab.

Vaters Tod und Kinderpornos

Zunächst interessiert den Vorsitzenden die Sache mit den Kinderpornos. "Wie sind Sie zu denen gekommen?", fragt er. "Das waren damals meine Lebensumstände. Mein Vater ist gestorben, ich musste in Pension gehen, es gab in meinem privaten Umfeld mehrere Todesfälle", versucht der Angeklagte zu erklären. "Deswegen schaut man sich aber keine Kinderpornos an. Mit jungen Männern", entgegnet Böhm.

Dem noch etwas anderes auffällt. W.s Vater starb 2013, die ersten einschlägigen Dateien stammen allerdings aus dem Jahr 2005. "Das war aus Neugier. Ich habe mich über FKK-Urlaube informiert und bin dann auf die Seiten gekommen."

Wirklich unrund beginnt der Vorsitzende dann zu werden, als es um die Missbrauchsfälle geht. Die Aussagen der betroffenen Buben, die damals sieben bis 14 Jahre alt waren, sind nämlich praktisch deckungsgleich, obwohl sie einander nicht kennen.

So sagten beispielsweise alle, dass W. immer wieder Buben nach Hause gefahren habe. Bei der Polizei hatte der Angeklagte das noch kategorisch bestritten, nun behauptet er, die Eltern hätten ihn darum gebeten.

Umweg, um Verkehrszeichen zu lernen

Es wird noch abstruser. Eines der Opfer schilderte den Missbrauch auf einem Parkplatz der eher abgelegenen Jubiläumswarte. Warum er mit dem Buben dorthin gefahren sei, will Böhm wissen. "Wir machen bei den Pfadfindern immer wieder Spiele, wo es um Verkehrszeichen und die Beobachtungsgabe geht", erfährt er. "Verkehrszeichen gibt es in der Sandleitengasse auch, und das wäre der kürzeste Weg gewesen", hält der Vorsitzende W. vor.

Daher folgt der nächste Erklärungsansatz: "Weil wir gerne Auto fahren." Böhm wird immer gereizter: "Bei der Polizei haben Sie noch gesagt, Sie seien dort gewesen, da es so einen schönen Wien-Blick bis zum Riesenrad gibt. Das stimmt aber gar nicht!"

Auch die Frage, warum er mit dem Zehnjährigen privat nach Oberösterreich auf Urlaub gefahren sei, erbringt eine nebulose Antwort. "Ich wollte ihm den Pfadfinderlagerplatz zeigen." – "Und deshalb mussten Sie mit ihm in einem Bett schlafen?" – "Es gab dort nur fünf Räume, und es waren schon acht Taucher dort." – "Aha. Taucher", kann Böhm es nicht fassen.

Rache und Lügen

Mehrmals winkt Böhm mit dem Türl-mit-Seitenteilen-Pfahl und erinnert den Angeklagten, dass ein Geständnis der wesentlichste Milderungsgrund ist. W. bleibt dabei: Alle wollen sich an ihm rächen, andere Zeugen lügen oder erinnern sich falsch.

Etwa jener, der berichtet, der Pensionist habe ihn auf seinem Handy einen Zeichentrick-Porno gezeigt. "Nein, das war ein Daumenkino", behauptet W. nun. "Glauben Sie, dass ein 13-Jähriger nicht zwischen einem Handy und einem Daumenkino unterscheiden kann?", fragt Böhm ungläubig.

Der auch W.s Angaben über das angebliche Motiv des ersten Opfers für eine Anzeige zerpflückt. Er habe dem Teenager nämlich in mehreren Tranchen 53.000 Euro geborgt, sagt der Angeklagte. 2013 habe er die Zahlungen eingestellt, das sei nun die Retourkutsche.

Allein: Die Anzeige erfolgte erst 2015 – durch die Freundin des Opfers. Die der Polizei auch erklärte, ihr Freund habe ihr schon 2011 verraten, er sei jahrelang von "Bobby" missbraucht worden. Nach der Festnahme W.s sei dessen Foto in der Zeitung gewesen, der junge Mann habe ihr dann gesagt, das sei der Täter gewesen. "Das müsste eine ziemlich ausgetüftelte Intrige sein", stellt Böhm fest.

Um weitere Zeugen zu hören, vertagt er schließlich auf Jänner. (Michael Möseneder, 11.12.2015)