Ein Blick in die neueröffnete Virgilkapelle.

Foto: kramar@fabrik.co.at

Kyrie eleison. Choräle aus dem 15. Jahrhundert, vorgetragen vom Wiener Ensemble Cinquecento, und die Uraufführung einer kleinen, dreiminütigen Litanei, die der estnische Komponist Arvo Pärt im Auftrag des Wien-Museums eigens für den Tag der Eröffnung geschrieben hatte – in diesem akustischen Ambiente präsentierte sich gestern, Donnerstag, die jahrelang verschlossene Virgilkapelle unter dem Stephansplatz erstmals wieder der Öffentlichkeit.

"An die Virgilkapelle hinter der Glasscheibe in der U-Bahn-Station erinnern wir uns alle", erzählte Matti Bunzl, Direktor des Wien-Museums, im Rahmen der Pressekonferenz. "Ich erlebe es daher als großen, bewegenden Moment, dass wir nach acht Jahren Schließung, Planungsphase und Bauzeit wieder in der Lage sind, Publikum in diese großartigen Räumlichkeiten einzuladen."

Feindliches Salz

Winterliches Streusalz, das oben am Stephansplatz ausgestreut wird, hatte der 1230 errichteten und 1246 mit Fresken ausgestatteten, unterirdischen Kapelle zuletzt stark zugesetzt. Durch die trockene Luft diffundierte das langsam im Erdreich versickernde Salz durch das Mauerwerk und setzte sich dort in Form von kristallinen Ausblühungen zwischen Putz und Malerei fest. Ein Großteil der Fugenornamente und Radkreuze wurde dadurch zerstört. Ein Wasserrohrbruch mit ziemlich verschimmelten Folgen führte 2008 endgültig zur Schließung.

"Der Zustand war sehr schlimm, und die Schimmelpilze waren auch für Menschen schädlich", sagt Michaela Kronberger, Kuratorin für Archäologie am Wien-Museum. "Die wichtigste Maßnahme des gesamten Umbaus ist daher die Klimatisierung der Kapelle." In monatelangen Simulationen habe sich herausgestellt, dass eine Luftfeuchtigkeit von 69 bis 70 Prozent die idealen Bedingungen sind, um weitere Schäden durch Schimmel und Salze zu unterbinden.

Eingang von U-Bahn-Station aus

Mit der Haustechnik, die nun unter dem neuen Doppelboden versteckt ist, kam auch eine neue Zugangssituation und räumliche Gestaltung. Nach Plänen des Wiener Architekturbüros BWM wurde der Zugang nach oben verlegt. Gut sichtbar gelangt man aus der U-Bahn-Station nun direkt in die Kapelle. Zwei Wendeltreppen führen die Besucher nach unten. Der alte Eingang in der untersten Etage wurde als Fluchtweg und barrierefreier Zugang erhalten.

"Das ist ein ruhiger, archaischer Raum, und diese Stimmung wollten wir auf jeden Fall beibehalten", sagt Johann Moser, Projektleiter und Partner bei BWM. "Die baulichen Eingriffe und funktionalen Notwendigkeiten wie Doppelboden, Geländer und Wendeltreppen haben wir komplett schwarz behalten. Dadurch nimmt sich das Neue wie ein dunkles, unauffälliges Schattenbild zurück." Einzig durch den Noppenboden wähnt man sich für einen kurzen Augenblick in einem U-Bahn-Waggon aus den Achtzigern.

Minimuseum eröffnet

Neben zur revitalisierten Virgilkapelle wurde im ehemaligen Eingangsbereich zudem ein Minimuseum eingerichtet. Die Ausstellung umfasst bildliche Darstellungen, Informationen zum mittelalterlichen Wien sowie diverse kleinere Exponate. Allein der Animationsfilm, der die Entwicklung Wiens zwischen 12. und 20. Jahrhundert anschaulich macht, ist einen Besuch wert.

Das Gesamtinvestitionsbudget für Umbau, Restaurierung, Haustechnik und Ausstellung beläuft sich auf 300.000 Euro. Ein großer Teil davon konnte über Sponsoring finanziert werden. Auch wenn im Zusammenhang mit der Virgilkapelle mangels schriftlicher Quellen viele Fragen unbeantwortet bleiben: So redselig wie heute war die Kapelle wohl schon seit Jahrhunderten nicht mehr. (Wojciech Czaja, 11.12.2015)