Integrationsminister Kurz ist dagegen, dass nach Österreich geflüchtete Männer und Frauen in Kursen getrennt unterrichtet werden. Falsch verstandene Toleranz, findet er. Hat er recht? Hier ist ein Bericht aus der Praxis zu diesem Problem. Denn ein Problem ist es tatsächlich.

Deutschkurs bei einer Hilfseinrichtung in Wien. Fünfzehn Teilnehmer, Männer und Frauen. Fast alle sind Muslime, etliche Tschetschenen und Tschetscheninnen dabei. Alle Frauen mit Kopftuch. Alle sind interessiert, höflich, freundlich und lernbereit. Nur eine einzige Schwierigkeit wird mit der Zeit offenbar: Die Frauen trauen sich nicht recht, den Mund aufzumachen. Sie sind oft besser als die Männer, aber eben das macht die Sache problematisch. Und wenn sie gebeten werden, herauszutreten und etwas an die Tafel zu schreiben, ist das manchen peinlich. Sich produzieren, während die männlichen Kollegen zuschauen? Eine Qual. Als die Lehrerin in einem ruhigen Augenblick, als die Männer nicht dabei sind, die Frage stellt: "Wär's euch lieber, wir würden einen Kurs nur für Frauen machen?", ist die einhellige Antwort: ja.

Im Team wird das Dilemma besprochen. Einerseits: Die Leute leben hier, sie müssen sich daran gewöhnen, dass hierzulande Männer und Frauen gemeinsam Dinge machen, lernen und arbeiten. Andererseits: Die erste Priorität ist, dass die Neuankömmlinge Deutsch lernen. Schwer genug für Menschen, die aus einer anderen Weltgegend kommen und nicht nur mit einer neuen Sprache, sondern auch mit einer neuen Schrift zu kämpfen haben. Man einigt sich darauf: Deutsch lernen geht vor. Alles andere kommt später. Ein Frauenkurs wird eingerichtet. Den Frauen, nicht den Männern zuliebe. Diese hatten sich übrigens ihren Mitschülerinnen gegenüber durchwegs tadellos verhalten, weder anlassig noch herablassend.

Und wie steht es mit der Gleichberechtigung? Ein anderes Beispiel, diesmal aus einem Kurs im Rahmen des Programms "Mama lernt Deutsch" für Mütter von Volksschulkindern. Ob sie sich vorstellen könnten, später einmal, wenn die Kinder größer sind, außer Haus arbeiten zu gehen, fragt die Lehrerin am Anfang des Kurses. Verständnislose Gesichter. Arbeiten gehen? Außer Haus? Nein, ausgeschlossen. Aber ein Schuljahr später schaut die Geschichte schon anders aus. Eine junge Frau gesteht, ein wenig zögernd, sie wäre gern Lehrerin. Eine andere möchte Krankenschwester werden. Und eine weitere will ganz konkret eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin machen. Manche Einstellungen ändern sich offensichtlich mit der Zeit, ganz ohne Werteschulungen.

Muss man den Leuten wirklich mit Entzug der Mindestsicherung drohen, um sie "integrationswillig" zu machen? In der Kindererziehung ist "schwarze Pädagogik" – Disziplinierung mittels Strafen – seit längerem out. Wäre eigentlich Zeit, dass sich das in der Integrationspolitik auch herumspricht. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 9.12.2015)