Wie geht man mit Falschinformationen über die EU um? Gelingt der Dialog mit den Bürgern? Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des STANDARD, im Gespräch mit Jörg Wojahn, Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Österreich, an der Fachhochschule des BFI in Wien.

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Wien – Jörg Wojahn greift zunächst einmal zu seinem Wasserglas, als ihn Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des STANDARD, auf die aktuelle Flüchtlingssituation anspricht. Ob nun eine Krise der Solidarität zwischen den EU-Staaten herrsche, will sie von ihm wissen, und in welchem Zustand Europa jetzt sei.

Wojahn zeigt sich betont optimistisch – "Ich sehe Licht am Ende des Tunnels" – und verweist auf gemeinsam Geschafftes: "Wir stehen beispielsweise auch geschlossen hinter den Russland-Sanktionen", sagt er. "Das ist nicht zuletzt deshalb eine große Errungenschaft, weil die Staaten extrem verschiedene Interessen in Bezug auf Russland haben." Die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise sei ebenfalls ein Erfolg: Es gebe bereits eine Reihe von Asylvorschriften, Mindeststandards für die Aufnahme und das Verfahren.

Als Diplomat zurück

Wojahn, geboren in München, studierte Jus und arbeitete zu Beginn seiner beruflichen Karriere beim STANDARD, zunächst als freier Journalist für Wirtschaft und Recht, später koordinierte er im Außenpolitikressort die Europa-Berichterstattung. 2002 ging er als Korrespondent nach Brüssel, wo er für den Concours, die Voraussetzungsprüfung für eine Karriere in der EU-Kommission, zu lernen begann. Wojahn bestand und wurde 2005 als Pressesprecher in die Antikorruptionsbehörde Olaf berufen. Fünf Jahre später ging er als Botschaftsrat der EU-Delegation in die saudische Hauptstadt Riad. Seit September leitet Wojahn nun die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich.

Vergangene Woche lud ihn die Fachhochschule des BFI Wien im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Faces of Europe" ein, über seinen Werdegang, seine Ziele, Visionen und aktuelle Probleme in Europa zu sprechen.

Dazu gehören auch die Flüchtlinge, von denen täglich tausende ankommen. 160.000 von ihnen auf die EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen, wie kürzlich in Brüssel beschlossen, könne man noch nicht bewerkstelligen, gibt Wojahn zu. Dafür nötige Strukturen zu schaffen brauche Zeit. "Wir müssen Verwaltungskulturen von Hunderten von Jahren ändern."

Dass die Kommission mit Jean-Claude Juncker als Präsident politischer geworden ist, dieser Meinung ist Wojahn – "daher macht die Arbeit als ihr Vertreter auch viel mehr Spaß". Juncker knöpfe sich die Regierungschefs "einzeln vor, bis sie auf Linie sind. Und nimmt sich auch kein Blatt vor den Mund."

Wojahn appelliert an Politiker, zu dem zu stehen, was sie in Brüssel beschlossen haben. "Leider traut sich das kaum jemand." Die EU werde im eigenen Land gern als Sündenbock anstatt als positives Projekt dargestellt. "Das ist auch meine Frustration als ihr Vertreter."

Nichts gefallen lassen

Um das Image der EU in den Mitgliedsstaaten aufzumöbeln, brauche es Regierungschefs, die "für das gemeinsame Projekt eintreten, Entscheidungen anpacken". Auch österreichische Politiker, findet Wojahn, "könnten da noch viel mehr tun". Innovative Ideen einbringen, Engagement zeigen, insgesamt "mutiger" sein.

Nun ist es schließlich auch das tägliche Brot eines EU-Vertreters, den Menschen das Thema Europa nahezubringen, Aufklärung zu leisten. Keine leichte Aufgabe, wie er sagt – "weil die Stimmung ja, wie wir aus Umfragen wissen, nicht so blendend ist". Ihm sei es einerseits wichtig, sachliche Diskussionen zu führen, Emotionen aus den Debatten herauszunehmen. "Ich will aber auch, dass wir uns als EU nichts gefallen lassen müssen. Wenn Mythen ins Kraut schießen, Dinge erfunden werden, die nicht stimmen, möchte ich auch reagieren."

Beispielsweise, wenn Minister Andrä Rupprechter in der ORF-Pressestunde falsche Zahlen über das Freihandelsabkommen TTIP verbreite. Oder bei klassischen Aufregern wie Gentechnik, Atomenergie und der Blutschokolade.

Schnelles Klarstellen sei bei Falschinformationen wichtig – "wenn man weiß, wie der Medienmarkt funktioniert" -, in der Praxis aber meist schwer zu bewerkstelligen. "Da muss man Fachkollegen in Brüssel anrufen und auf die nächste Gelegenheit warten."

Gefragt nach dem außenpolitischen Gewicht der EU, sagt Wojahn: "Auf Nachbarländer, die von uns ökonomisch stark abhängig sind, haben wir großen Einfluss. Die müssen darauf hören, was wir als Block sagen. Im Mittleren Osten ist die EU nur noch ein guter Vermittler. Und in Ländern, die geografisch noch weiter weg liegen, nimmt unsere Bedeutung weiter ab."

Union statt Nationalstaaten

Weltweit wahrgenommen werde die EU vor allem als Handelsmacht, Entwicklungshelfer und Wegbereiter für Menschenrechte ("Da haben wir einheitliche Positionen").

Um stark aufzutreten, brauche es "in vielen Bereichen mehr Union". Das formuliert Wojahn auch als seine Vision für die Europäische Union der Zukunft: "Staaten müssen bereit sein, Souveränität abzugeben", sagt der EU-Vertreter. Er will mehr Zentralisierung, "aber bitte demokratisch untermauert".

Wojahns Wunsch: Es sollte bei Wahlen auch europäische Listen geben, mehr Parteien sollen sich als europäische Parteien verstehen. "Dadurch würde eine europäische Öffentlichkeit entstehen." In der Flüchtlingskrise sollten alle mittun, gemeinsam "die Last tragen", sagt er. "Schließlich braucht es auch ein gemeinsames europäisches Asylverfahren, vielleicht mit einer Asylbehörde." (Lisa Breit, 4.12.2015)