Die Absage des Israel-Besuchs von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hat nichts mit der geplanten EU-Kennzeichnung von israelischen Siedlungsprodukten zu tun, hat aber sehr wohl einen nahostpolitischen Grund: den uralten Streit um den Status von Jerusalem.

Wie es langjähriger EU-Praxis entspricht, war Mitterlehner nicht bereit, Wissenschaftsminister Ofir Akunis in dessen Amtsgebäude im Ostteil Jerusalems zu treffen – also aus österreichischer Sicht auf besetztem Gebiet. Es war also nicht Israel, das den österreichischen Gast ausgeladen hat, sondern letztlich verzichtete Mitterlehner.

Kein Treffen mit dem Wissenschaftsminister

Im Mittelpunkt wären Wissenschaftsthemen gestanden, hieß es von österreichischer Seite, und wenn Mitterlehner seinen Ressortkollegen nicht treffen könne, habe der Besuch seinen Sinn verloren. Mitterlehner sollte Samstagabend in Israel landen und bis Dienstag bleiben.

Dass von einem "Boykott" vonseiten Israels keine Rede sein kann, ist daraus zu ersehen, dass der Termin mit Vizepremier Silvan Schalom, dem protokollarischen Pendant des Vizekanzlers, fixiert war: Dieses Treffen sollte in der Knesset, dem israelischen Parlament, stattfinden.

Diskussion um Meeting-Ort

Um den Ort der Begegnung mit Akunis gab es hingegen ein langes Hin und Her. Das israelische Außenministerium soll als Kompromiss das Van-Leer-Institut vorgeschlagen haben, das in Westjerusalem in der Nähe der Kanzlei des Staatspräsidenten liegt. Doch der 42-jährige Neo-Minister Akunis, auf dem rechten Flügel der konservativen Likud-Partei angesiedelt, will seine Gäste grundsätzlich in seinem Ministerium empfangen.

"Ich respektiere Österreich, aber wenn ich die Forderung der Gäste akzeptiert hätte, wäre das so gewesen, als hätte ich die Teilung Jerusalems akzeptiert", schrieb Akunis in einem Kommuniqué. "Wir werden Jerusalem nicht teilen, genauso wie die Österreicher Wien nicht teilen werden."

Termin in Ostjerusalem für Mitterlehner undenkbar

Aus österreichischen Quellen hieß es, es sei für Mitterlehner undenkbar gewesen, einen offiziellen Termin in Ostjerusalem wahrzunehmen, wo außer dem Wissenschaftsministerium etwa auch das Justizministerium angesiedelt ist: "Es gab in den letzten Jahren keinen europäischen Politiker, der diese Lokalitäten besucht hätte" – ein Auftritt des Vizekanzlers im israelischen Wissenschaftsministerium hätte "eine massive Änderung der außenpolitischen Prioritäten" dargestellt. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, 4.12.2015)