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Harold Lloyd im Stummfilmklassiker "Safety Last". Die Frage ist: Wie wird künftig an der Arbeitszeit gedreht?

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Wien – Arbeite, um zu leben: Dieses Motto der westlichen Welt könnte schon bald nicht mehr ganz stimmig sein. Denn aufgrund demografischer Entwicklungen und wirtschaftlicher Veränderungen wird es zwangsläufig zu Änderungen in der Arbeitswelt kommen, sagen Wirtschaftswissenschafter. Sie analysieren in umfassenden Studien, wie sich die Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern unter einen Hut bringen lassen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt hierbei die Arbeitszeitverkürzung, denn von der 40-Stunden-Woche wird man sich langfristig verabschieden müssen.

Eine Diskussion, bei der schnell die Wogen hochgehen, sagt der Ökonom Michael Schwendinger, der aktuell im Auftrag der Arbeiterkammer Wien zum Thema Arbeitszeitverkürzung forscht: "Diese Kontroverse wird teilweise sehr ideologisch geführt: Einige Befürworter loben die Arbeitszeitverkürzung etwas zu sehr als Allheilmittel in den Himmel, während sie bei manchen Gegnern immer noch als linksrevolutionäres Projekt verschrien ist."

Gehen reduzierte Arbeitszeiten auf Kosten des Wachstums, wenn mehr Menschen kürzer arbeiten und weniger erwirtschaften. Das sei eine sehr vereinfachte Sicht, sagt Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ökologische Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, vor allem weil man sich ohnehin von der starren Fixierung auf das Wirtschaftswachstum in Zukunft lösen müsse: Gerade in den europäischen Ländern werden längst nicht mehr die Wachstumsraten erzielt, mit denen sich diese Orientierung auch rechtfertigen lasse.

Ein Faktor von vielen

Stagl und ihre Kollegen untersuchen daher, inwieweit ökonomisch ausgetrampelte Pfade verlassen werden können, um effizientes Wirtschaften im Einklang mit sozialen und ökologischen Anforderungen zu verbinden: "Aus sozioökonomischer Sicht ist Wirtschaftswachstum nicht mehr das eigentliche Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Die eigentlichen Ziele sind Wohlbefinden, Gerechtigkeit und Umweltqualität."

Die Arbeitszeitverkürzung könne laut Stagl dabei eine Rolle spielen, sei aber kein Allheilmittel: "Die Reduzierung der Arbeitszeit hat viel Potenzial, jedoch ist sie nicht die eierlegende Wollmilchsau." Die Reduktion könne nur im Zusammenspiel mit anderen wirtschafts- und sozialpolitischen Faktoren funktionieren.

Aber gerade bei dieser Ausgestaltung gibt es noch einige Herausforderungen: Für eine Arbeitszeitverkürzung ohne finanzielle Einschnitte könnte man vermutlich die meisten Arbeitnehmer begeistern – ohne Lohnausgleich sieht das aber schon anders aus.

Zudem sei, wie Stagl sagt, die Akzeptanz Arbeitszeit reduzierender Beschäftigungsmodelle eine Generationenfrage: Jüngere Menschen, die die Realität verlässlicher stabiler Verhältnisse ohnehin nicht mehr gewohnt sind, nehmen eher Unterbrechungen in Kauf und Karenzzeiten in Anspruch als ältere Arbeitnehmer.

Das Arbeitsethos der Alten

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam auch Schwendinger: "Gerade bei der jüngeren Generation gibt es einen Wertewandel: Die Arbeitszeit wird für sie ein immer wichtigeres Thema, während die vorherige Generation noch ein anderes Arbeitsethos hatte."

Daher werden solche Modelle auch immer wichtiger – und zwar schon bei der Auswahl des Arbeitsplatzes.

Wer nimmt diese Möglichkeiten überhaupt in Anspruch? Damit haben sich Stefanie Gerold und Matthias Nocker ganz explizit beschäftigt. In ihrer Masterarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, die heuer mit dem Wissenschaftspreis des Sozialministeriums für JungakademikerInnen ausgezeichnet wurde, befragten sie Beschäftigte nach Beweggründen, sich für die Arbeitszeitverkürzung zu entscheiden.

Im Zentrum stand dabei die Freizeitoption – die Möglichkeit, mit mehr Zeit anstatt mit mehr Geld entlohnt zu werden. Lediglich ein Fünftel der Befragten äußerte den Wunsch, weniger zu arbeiten. Jedoch stammten diese Personen aus allen Berufs- und Altersgruppen.

Das ist, sagt Nocker – inzwischen wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien (Forba) -, aus arbeitspolitischer Sicht relevant: "Ursprünglich war die Freizeitoption für ältere Arbeitnehmer gedacht, dabei wird das Modell in allen Altersgruppen nachgefragt und sollte daher jedem offenstehen, wie das auch immer häufiger der Fall ist."

Freiheit als Belastung

Auch Sigrid Stagl hält die ursprüngliche Stoßrichtung für wenig zielführend: "Die Freizeitoption ist grundsätzlich eine sinnvolle Maßnahme. Jedoch bleibt sie gesellschaftlich wie ökologisch verhältnismäßig wirkungslos, wenn sie nur zum Ansparen von Zeit benutzt wird, um dann ein paar Monate früher in Pension zu gehen."

Dass die Freizeitoption aber bisher immer noch von der Minderheit gezogen wird, erklärt sich laut Stefanie Gerold, die nun am Wiener Sustainable Europe Research Institute (Seri) tätig ist, weniger mit dem Blick auf das Konto: "Zahlreiche Beschäftigte bekommen immer mehr Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeit, tragen deshalb aber auch mehr Eigenverantwortung. Das dürfte einer der Gründe sein, dass viele solche Optionen nicht in Anspruch nehmen."

Anscheinend haben die Arbeitnehmer einfach noch zu wenig Zeit für mehr Zeit. (Johannes Lau, 2.12.2015)