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Gibt es so etwas wie ein "weibliches" und ein "männliches" Gehirn? Forscher fanden nun zwar Unterschiede, die aber recht gering sind.

Reuters

Leipzig/Wien – Das Buch war vor knapp zehn Jahren ein Weltbestseller: Die US-Neuropsychiaterin Louann Brizendine hatte 2006 in "The Female Brain" behauptet, dass Frauen und Männer völlig unterschiedliche Gehirne hätten. Frauen seien im Vergleich zu Männern mit besonderen sprachlichen, emotionalen und sozialen Kompetenzen gesegnet, die in ihre Gehirne "fest einprogrammiert" seien, so Brizendine. Das Buch markierte eine Wende im populärwissenschaftlichen Geschlechterdiskurs, indem Unterschiede zwischen Frauen und Männern ins Gehirn verlagert wurden.

Brizendines populärwissenschaftlich gehaltener Befund wurde in den letzten Jahren durch die eine oder andere seriöse Studie gestützt: Ende 2013 etwa fanden Forscher um Madhura Ingalhalikar (University of Pennsylvania in Philadelphia) heraus, dass Frauen in weiten Teilen des Gehirns besonders viele Kontakte zwischen den beiden Hirnhälften besäßen. Männer hingegen würden über mehr Verknüpfungen innerhalb der Hemisphären verfügen.

Schlüsse aus der Anatomie

Auch Ingalhalikar und ihre Kollegen ließen sich so wie Brizendine dazu verleiten, von den scheinbar existierenden anatomischen Differenzen auf unterschiedliche Eigenschaften von Männern und Frauen zu schließen: So könnten Frauen analytische und intuitive Informationen besser miteinander verbinden.

Eine neue Untersuchung bringt nun die Vorstellungen von den völlig unterschiedlichen weiblichen und männlichen Gehirnen etwas ins Wanken. Zwar gäbe es Differenzen, berichten Hirnforscher um Daphna Joel (Uni Tel Aviv) und Daniel Margulies (Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig) im Fachmagazin "PNAS". Doch in den Gehirnen der meisten Menschen würden sich "weibliche" und "männliche" Merkmale mischen.

Für ihre Studie wertete das Team Hirnscans von 1400 Probanden aus – zunächst danach, wo Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen am stärksten ausgeprägt waren. Ähnlich wie auch schon Ingalhalikars Team legten sie besonderes Augenmerk auf die Verknüpfungen innerhalb und zwischen verschiedenen Hirnbereichen. Zudem analysierten sie mögliche Unterschiede in der grauen und der weißen Substanz des Gehirns.

Mischung von Merkmalen

Schließlich bewerteten die Neurowissenschafter die Gehirne danach, inwieweit sie in den betreffenden Bereichen rein weibliche oder rein männliche Merkmale besitzen – und kamen zu einem differenzierten Ergebnis: Zwar gäbe es Merkmale, die eher bei Männern oder eher bei Frauen zu finden sind. Die meisten Hirne besäßen einen Mix aus allen Kategorien. Gehirne mit rein männlichen und rein weiblichen Kennzeichen seien deutlich in der Minderheit. Im Bezug auf die graue Substanz besaßen zum Beispiel nur sechs Prozent der betrachteten Probanden durchgängig weibliche oder durchgängig männliche Kennzeichen.

Diese Ergebnisse würden sich gut mit jenen von Studien decken, in denen Verhaltens- oder Persönlichkeitsunterschiede zwischen Männern und Frauen untersucht worden waren, schrieben die Forscher. Auch hier ließen sich nur wenige Probanden eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Schließlich sei ihre Studie auch ein wichtiger Beitrag zu Debatten etwa über den Nutzen von geschlechtsgetrennter Erziehung. Dafür würde die Studie eher keine Grundlage bieten. (tasch, 30.11.2015)