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EZB-Präsident Mario Draghi wird den Geldhahn weiter öffnen, wird erwartet.

Foto: Reuters

Wien – Vor gut vier Jahren hat der Italiener Mario Draghi im Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt Platz genommen. In dieser Zeit ist er nicht nur Feuerwehreinsätze zur Rettung des Euro gefahren, sondern er hat auch den endgültigen Schwenk zu einer Weichwährungspolitik durchgesetzt. Beinahe gänzlich verstummt sind die Verfechter eines harten Euro, welcher die Wirtschaft zu andauernden Produktivitätsgewinnen zwingt, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Stattdessen zieht die EZB alle geldpolitischen Register, um die Inflation anzuheizen – aber vor allem, um die eigene Währung erodieren zu lassen. Auch ein Weg, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Erwerb von Staatsanleihen

Wie das in der Praxis funktioniert, hat Draghi Anfang dieses Jahres mit Negativzinsen und einem massiven Programm zum Erwerb von Staatsanleihen vorexerziert. Nun, da die europäische Währungsbehörde den letzten Rest von Hartwährungspolitik endgültig ausgehaucht hat, holt ihr Chef zum nächsten Schlag gegen den Außenwert der Gemeinschaftswährung aus. "Draghi hat die Tendenz, die Markterwartungen sogar zu übertreffen. Dazu muss er diesmal schon einiges nachlegen", meint Thomas Neuhold, Anleihenexperte der Gutmann Kapitalanlagegesellschaft.

Weitere Negativzinsphase

Als ausgemacht gilt für ihn, dass der Negativzins auf Einlagen von Banken von minus 0,2 Prozent auf 0,3 oder 0,4 Prozent weiter abgesenkt wird: "Die Erfahrungen mit negativen Einlagesätzen sind besser als gedacht. Von Problemen war nichts zu sehen." Wahrscheinlich wird auch das Anleihenkaufprogramm mit einem Volumen von derzeit 60 Milliarden Euro pro Monat ausgebaut. Neuhold hält sowohl eine Aufstockung auf 80 Milliarden als auch eine Verlängerung des bis September 2016 laufenden Programms um sechs Monate für möglich.

In der Praxis stößt die EZB allerdings auf das Problem, dass das verfügbare Volumen an Staatsanleihen mitunter schon knapp wird – obwohl die Währungshüter nicht mehr nur ein Viertel, sondern schon maximal ein Drittel jeder Anleihentranche in die eigenen Bücher nehmen dürfen.

Deutschlands Budgetentwicklung

Wegen der guten Budgetentwicklung platziert Deutschland derzeit weniger Staatspapiere. Neuhold erwartet daher, dass die EZB künftig auch Anleihen von Bundesländern und vergleichbaren Gebietskörperschaften kaufen wird. Dieser Markt in der Eurozone ist ihm zufolge rund 260 Milliarden Euro schwer, rund 80 Prozent davon stammen von deutschen Bundesländern.

Hauptstoßrichtung dieser Maßnahmen ist eine weitere Abwertung des Euro, wobei dies vor allem gegenüber dem Dollar und dem britischen Pfund möglich sein wird. Sowohl von der US-Notenbank Fed als auch der Bank of England wird erwartet, dass sie demnächst die Zinsen erhöhen, was deren Währungen unter Aufwertungsdruck setzt.

Abwertungswettlauf erwartet

"Der Rest der Welt wird massiv dagegenhalten", erwartet Anleiheexperte Neuhold eine weitere Runde im Abwertungswettlauf. Schließlich zielt eine schwache Währung darauf ab, sich gewissermaßen Wachstum aus anderen Währungsräumen zu borgen – freilich ohne die Absicht, es wieder zurückzuzahlen.

Dass dadurch zumindest etwas Inflation über Einfuhren aus dem Dollarraum importiert werden kann, ist bestenfalls ein vorübergehender Nebeneffekt. Eine grundlegende Bekämpfung der deflationären Tendenzen, die dank Globalisierung, technologischem Fortschritt und wohl auch zu tiefen Zinsen seit Jahrzehnten vorherrschen, erscheint allen Erfahrungen nach ohnedies nicht möglich.

Japanisches Modell

In Japan versucht die Notenbank bereits seit 20 Jahren, Deflation und Wachstumsstillstand mit Nullzinsen und in weiterer Folge auch Anleihenkaufprogrammen beizukommen. Mehr als ein kurzes Strohfeuer konnte damit nicht ausgelöst werden, obwohl die Dosierung dieser Geldspritzen beinahe exponentiell erhöht wurde.

Nun schickt sich EZB-Präsident Mario Draghi an, die Eurozone in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit in Japans Fußstapfen wandeln zu lassen – mit ebenso ungewissen Erfolgsaussichten. Wie man die dadurch entwichenen, geldpolitischen Untugenden wieder zurück in die Büchse der Pandora bekommt, damit müssen sich wahrscheinlich erst seine Nachfolger herumschlagen.

EZB-Präsident Mario Draghi wird den Geldhahn weiter öffnen. Während in den USA die erste Zinserhöhung seit der Finanzkrise ansteht, wird Geld im Euroraum noch lange extrem billig bleiben. (Alexander Hahn, 30.11.2015)