Der Islam hinterlässt Spuren in den Schulen, und manche zeugen von wachsendem Fundamentalismus: Mädchen legen plötzlich eng gezogene Kopftücher an, Burschen drängen auf einen Gebetsraum.

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Schuldirektorin Ulrike Dewam: "Eltern fielen halb in Ohnmacht."

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Wien – Im Musikunterricht hielt sich der Bub immer die Ohren zu. Unislamisch seien die lasterhaften Klänge, erklärte der 13-Jährige, der auch sonst viel Gottloses an Lehrern und Klassenkollegen auszusetzen hatte. "Wir durften uns ständig anhören, was alles ,haram‘, also im Islam verboten, ist", erzählt Schuldirektorin Ulrike Dewam, "und es kam vor, dass er Mitschüler als Schweinefleischfresser beschimpft hat."

Dewam ist weder die erste noch die einzige Wiener Schulleiterin, die derartige Erfahrungen macht. Im STANDARD berichtete unlängst der Direktor einer Mittelschule im Bezirk Floridsdorf von einem "konservativen, fast rassistischen Islamverständnis", das sich unter den Kids ausbreite. Von Mobbing gegen Nichtmuslime bis zu Selfies mit Symbolen des Islamischen Staates (IS) reichte die Liste der einschlägigen Vorfälle.

Fuß gefasst hat das Phänomen auch in der Brigittenau, wo Dewam und ihre Lehrerschaft 223 Kinder – 96 Prozent mit nichtdeutscher Muttersprache, die Hälfte muslimisch – unterrichten. Mädchen, stets geschminkt und mit offenem Haar, rahmten ihre Gesichter plötzlich mit eng gezogenen Kopftüchern ein, im Schülerparlament forderten drei Burschen einen Gebetsraum. Direktorin Dewam lehnte ab: "Ich habe nach der Renovierung nur im Religionsraum Kreuze aufgehängt."

Sorgen bereitete ihr aber vor allem ein Blick in Facebook. Erstklassler, gerade elf Jahre alt, hätten dort Links gepostet, die zu Fahnen und Propagandavideos der IS-Terroristen führten.

Keine Einzelfälle

Einzelfälle seien das nicht, sagt Ercan Nik Nafs: "Der Jihadismus hat sich verbreitet wie eine Popkultur." Gerade für haltlose Jugendliche, die keinen Sinn im Leben sehen, sei die Verheißung, Auserwählter zu werden, verlockend, erläutert der Wiener Kinder- und Jugendanwalt: "Die radikalen Islamisten rekrutieren in den Parks mit Methoden, die sie von Sozialarbeitern abgeschaut haben, und ihre Internetauftritte sind hochprofessionell. Die dort angewandte schwarze Pädagogik geht tief unter die Haut."

Wie sich dem beikommen lässt? "In erster Linie nicht mit Polizeiarbeit", sagt Nik Nafs, der in Wien die Gegenoffensive anführt. Unter Koordination der Kinder- und Jugendanwaltschaft hat die Stadt vor einem guten Jahr ein Netzwerk eingerichtet, das die steigende Radikalisierung Jugendlicher, nicht zuletzt unter den Vorzeichen des Islams, bekämpfen soll. Das Instrumentarium reicht von Beratung für Kinder und Eltern über Präventionsprojekte bis zu Lehrgängen für Pädagogen, Sozialarbeiter und anderes Fachpersonal. Kooperiert wird mit Gott und der Welt, von den Glaubensgemeinschaften bis zum Verfassungsschutz.

"Alle Stückeln" habe das Hilfsangebot, auch vonseiten des Stadtschulrats, gespielt, erzählt Dewam, angefangen bei den Schulungen, wie mit anfälligen Schülern umzugehen ist. Allerdings: "Ein Möchtegernjihadist lässt sich von einem christlichen Lehrer gar nichts sagen." Als wirksamer entpuppte sich die Strategie, die Eltern einzuschalten. "Die sind halb in Ohnmacht gefallen", sagt sie, "konnten aber auf ihre Kinder einwirken."

Kinder ohne Deutschkenntnis

Entspannt hat sich Situation vor eineinhalb Wochen, aber aus einem anderen Grund. Jener 13-Jährige, den Dewam als Wortführer der islamistischen Sache ausmachte, wurde nach Monaten des permanenten Widerstands gegen den Schulbetrieb von der Mutter abgemeldet. Er soll in sein Heimatland Ägypten gezogen sein.

Hilfe fordert die Direktorin dennoch – wegen anderer Sorgenkinder. 13 Flüchtlinge hat die Schule jüngst dazubekommen, womit bereits 35 Schüler im Haus kaum ein Wort Deutsch sprächen. Begleitlehrer in der jeweiligen Muttersprache vermisst Dewam und Programme, um durch die Flucht verpasste Bildungsjahre aufzuholen: "So ehrgeizig gerade Flüchtlingskinder oft sind, das können wir als Schule unmöglich auch noch leisten." (Gerald John, 30.11.2015)