Als Weltbürger nirgendwo zur Gänze heimisch: der ingeniöse Regisseur Luc Bondy, hier 2012 in Wien.


Heribert Corn

Wien – Sein größtes Kapital war die Neugier. Von ihr besaß er unerschöpfliche Vorräte. Sie zerrann ihm nie unter den Fingern. Es gab gelehrtere Theaterregisseure als Luc Bondy, bessere Bescheidwisser, größere Ideologen. Als Bondy, der Zürcher Publizistensohn, seine ersten Inszenierungserfolge in der BRD feierte, waren noch die Strategen am Werk. Manche von ihnen, wie Rudolf Noelte, fertigten von den Stücken, die sie inszenierten, komplizierte Konstruktionspläne an. Jede einzelne Sekunde, die die Schauspieler auf der Bühne verbrachten, wurde von diesen Planungsingenieuren im Vorhinein festgelegt.

Triumph der Leichtigkeit

Für Bondy war ein solches Vorgehen vergebene Liebesmüh. Er blieb lieber ein ewig Staunender. Ein wissender Tor, der den Figuren ungerührt dabei zuschauen konnte, wie sie noch im Zugrundegehen über die schmähliche Enge des Lebens triumphierten. Nicht zufällig hieß eine seiner federleichtesten Inszenierungen Triumph der Liebe (Marivaux). Sie entstand an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz. Dass Bondy dieses Haus von 1985 bis 1988 leitete, was ihn an den Rand seiner physischen Kräfte brachte, wird heute beharrlich vergessen.

Als einer, der das Staunen zuließ, war Bondy, das ewig heitere Kind, zugleich ein Künstler von größtem Raffinement. Oft wirkten seine Inszenierungen wie hastig durcheinandergeworfen. Man ärgerte sich ganze Akte lang darüber, wie Schauspieler, die bei ihm ein besonderes Maß an Freiheit genossen, aneinander vorbeiagierten. Es waren solche Durchhänger bloß Voraussetzungen.

Pünktlich gegen Aktschluss bemächtigte sich aller Beteiligten ein Flirren, ein verwirrendes Vibrieren und Schweben. Die Verhältnisse, so unleidlich sie bis dahin noch gewesen sein mochten, begannen wie von Zauberhand bewegt zu tanzen. In den Inszenierungen, die Bondy seinen Lieblingsautoren angedeihen ließ (unter ihnen Horváth, Schnitzler, Ibsen, Edward Bond, Marivaux und Botho Strauß), schien die Schwerkraft manchmal völlig außer Dienst gestellt.

Ausbildung bei Jacques Lecoq

Von seinem Essayistenvater François bekam Luc das Wissen um die Absurdität der Moderne mit auf den Weg. Nachdem der Sohn bei Jacques Lecoq in Paris gelernt hatte, fühlte er sich reif genug, selbst eine Novelle des großen polnischen Grimassenschneiders Witold Gombrowicz auf die Bühne zu bringen (1968).

Es folgten Jahre der Wanderschaft. Der junge Bondy assistierte einmal Gustav Manker in Hamburg, ein anderes Mal brachte er Lasker-Schülers Die Wupper (Schaubühne 1976) zum Fliegen. Immer war ein Geheimnis um Bondys Inszenierungskunst, ein unstofflicher Rest, der kaum zu enträtseln war. "Er lässt die Rollen sich ergeben", schrieb dazu der Berliner Kritiker Friedrich Luft.

Als man Bondy 1998 fix an die Wiener Festwochen band, berührten einander noch einmal die verschiedenen Flügel der Moderne. Der zweisprachige jüdische Intellektuelle entdeckte seine eigenen kakanischen Wurzeln. Zugleich blieb er gegenüber Vereinnahmungsversuchen resistent. "Ein Teil von mir fühlt sich austro-ungarisch", bekannte Bondy einmal. Seine Züge umspielte zumeist ein Lächeln. In diesem wetteiferten Freundlichkeit und Überdruss miteinander.

Reserve gegenüber Österreich

Als Bondy, vormals Schauspieldirektor, 2002 die Intendanz der Festwochen zur Gänze übernahm, schien sich in den Tagen der schwarz-blauen Koalition endlich auch der Weltgeist in Wien eingefunden zu haben. Man versteht Bondys Reserve gegenüber Österreich umso besser, wenn man sich vor Augen führt, dass er Schnitzlers Das weite Land in Paris inszeniert hatte, im Théâtre Nanterre-Amandiers (1984).

Die Egozentrik des Fabrikanten Hofreiter (Michel Piccoli) gehörte plötzlich nicht nach Baden bei Wien. Gemeint war die Welt Marcel Prousts. Zitiert wurde eine Gefühlsrohheit, die bereits an die Barbarei der Nazi-Diktatur denken ließ. In Fragen der Gemütsschlamperei war Bondy unerbittlich. Aus dem Weiten Land wurde gerade deswegen ein großartiger, hitzeflirrender Film.

Schwärzeste Melancholie

Wenn Bondy manchmal wie ein unkonzentrierter Junge wirkte, so auch deshalb, weil ihn Kunst als Frucht von Beflissenheit verdross. Am liebsten schrieb er flüchtige Zeilen in die Luft. Gelegenheitswerke wie sein Roman Am Fenster (2009) verdichteten den Eindruck von Leichtigkeit. Seine glückliche Hand bewahrte Bondy nicht vor Anwandlungen schwärzester Melancholie.

Seine Tartuffe-Inszenierung zum Abschied aus Wien 2013 verriet, dass auch rechtschaffene Menschen wie der Bürger Orgon (Gert Voss) manchmal nicht wissen, wohin mit ihrer übergroßen Liebe. Ein schweres Wirbelsäulenleiden setzte dem Regisseur und Theaterleiter zermürbend zu. Nennungen für die Intendanz der Salzburger Festspiele ließ er sich gefallen. An der Salzach triumphierte er noch einmal als Musikwissenschafter der Seele (in Dalbavies Oper Charlotte Salomon): Bondy blieb bis zuletzt einer, der noch die Pausen im Text des Lebens in Wohlklang verwandelte.

Luc Bondy starb am 28. November 2015 67-jährig in Zürich. Er hinterließ seine ebenfalls am Theater arbeitende Frau Marie-Louise Bischofberger und die Zwillinge Eloise und Emmanuel. Frankreichs Kulturministerin Fleur Pellerin würdigte Bondy als "einen der größten Regisseure Europas". Minister Josef Ostermayer (SPÖ): "Mit ihm verliert die Theaterwelt einen Avantgardisten und künstlerischen Freigeist." Salzburger Festspiele: "Ein Liebender, ein Spieler, ein Weiser." (Ronald Pohl, 29.11.2015)