In der allgemeinen Ratlosigkeit, die man sich aber aus Angst vor freiheitlicher Demagogie nicht anmerken lassen will, meint die Innenministerin, nun das Abrakadabra zur Lösung des Flüchtlingsproblems gefunden zu haben, und das kaum ein Vierteljahr nachdem es akut wurde. Es besteht aus den Zauberworten Obergrenze und Denkverbote, wobei ersteres eingeführt und das zweite aufgehoben werden soll. Die "Obergrenze" ist eine intellektuelle Leihgabe aus der christlich-sozialen Gedankenwelt Bayerns und somit für eine österreichische Volkspartei die seriös legitimierte Versuchung, der christlichen Nächstenliebe endlich die Obergrenze einzuziehen, die auch hiesigen Werten entsprechen soll.

Diesem Ansatz, Licht ins Dunkel obrigkeitlichen Denkens zu bringen, folgte bisher leider nicht die Erhellung, die man sich hätte erwarten können. Der Mut war mit dem Aussprechen des Wortes "Obergrenze" erschöpft, wo sie liegen sollte, wagt niemand zu sagen. Eine Million? Zwei? Oder drei? Daran will sich bisher nicht einmal der bayerische Löwe verbrennen, der selbst einer deutschen Bundeskanzlerin trotzt. Den einen ist sie ohnehin längst überschritten, andere wieder scheinen darauf zu hoffen, die Flüchtlinge würden endlich den Anstand haben, sich selbst zu begrenzen. Und auch in zuständigen Regierungskreisen kann kein Zweifel daran bestehen, dass schon aus völkerrechtlichen Gründen Gedankenspiele mit Obergrenzen obsolet und daher höchstens zur kurzfristigen Narkotisierung einer Bevölkerung geeignet sind, die mit geeigneten Mitteln zu beruhigen die Zuständigen außerstande sind. Und während österreichische Politiker sich noch mit dem Andenken von Obergrenzen strapazieren, sind uns die Deutschen schon wieder voraus. Sie sprechen jetzt von Kontingenten, was vielleicht nicht völkerrechtswidrig, aber auch illusionär bleibt, solange die Zuteilung nicht geklärt ist.

Was die Genfer Flüchtlingskonvention und Österreichs leichtsinnigen Beitritt dazu betrifft, könnte die Forderung der Innenministerin zum Tragen kommen, sich endlich von einigen Denkverboten zu befreien. Wenn aus gewissen Kreisen diesbezügliche Forderungen erhoben werden, weiß man, dass im Sinne der Meinungsfreiheit die eine oder andere Sau rausgelassen werden soll, unter dem Motto: Das wird man doch noch sagen dürfen. Eine Sträflingsinsel für Jihadisten etwa ist ein verführerischer Gedanke, dem man sich unter Aufhebung einiger Denkverbote zumindest anschmiegen kann, selbst wenn es nur beim Gedanken bleiben muss. Fußfessel und Hausarrest auf Verdacht – nur keine Denkverbote, wie bei der Vorratsdatenspeicherung, die nun leider doch nur auf amtsbekannte Verdächtige zielen soll.

Ein schönes Beispiel für ein aufgehobenes Denkverbot hat der ORF mit der Einladung eines handverlesenen identitär Rechtsextremen ins "Bürgerforum" gegeben. Das edle Ziel der Redaktion war es, "das gesamte Meinungsspektrum abzubilden". Das muss die Redaktion aber noch ein wenig üben. Wenn es ihr wirklich so ernst mit der Abbildung des gesamten Meinungsspektrums ist, hätte ein Jihadist nicht fehlen dürfen. (Günter Traxler, 26.11.2015)