Heringsmöwen verlassen sich auf ihre Nase, wenn sie auf Reisen gehen.

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Zugvögel sind in punkto Navigation unschlagbar. Sie legen zigtausende Kilometer zurück und erreichen ihr Ziel mit großer Präzision. Wie sie das machen, ist bis heute nicht restlos geklärt. Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell und der Universität Konstanz hat nun einen weiteren Beleg dafür geliefert, dass manche Vögel auch den Geruchssinn zur Navigation nutzen.

Dafür haben sie Heringsmöwen aus dem Grenzgebiet zwischen Russland und Finnland mittels GPS-Sendern verfolgt und entdeckt, dass die Vögel ihren Geruchssinn brauchen, um ihren Zugkorridor und ihr Überwinterungsgebiet in Afrika zu finden. Wie die Forscher im Fachblatt "Scientific Reports" berichten, benutzen Vögel entgegen der weit verbreiteten Annahme nicht immer das Erdmagnetfeld zur Bestimmung ihrer Position.

Magnetkompass und Wegmarken

Um ihren eigenen Aufenthaltsort zu bestimmen und sich zu orientieren, benutzen Vögel demnach möglicherweise unterschiedliche Sinne. Zur Richtungsfindung setzen viele Arten einen Magnetkompass ein, den sie anhand des Sonnenuntergangwinkels eichen, denn die Sonne geht immer etwa im Westen unter. Ob das Magnetfeld der Erde auch eine genaue Ortsbestimmung zulässt, ist noch umstritten.

Darüber hinaus folgen die Jungvögel vieler Arten erfahreneren Artgenossen auf ihrem ersten Zug und prägen sich dabei Wegmarken wie Küsten, Berge oder Flüsse ein, an denen sie sich künftig orientieren können. Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass Vögel zudem ihren Geruchssinn zur Positionsbestimmung nutzen. Die Forscher um Martin Wikelski (MPI) konnten nun erstmals entlang der gesamten Zugstrecke einer Art zeigen, dass manche Vögel auf ihrem Zug nach Süden ihrer Nase folgen.

Nerven durchtrennt

Dazu verfolgten sie die Reise von knapp 120 Heringsmöwen von Finnland und der zu Russland gehörenden Solovki-Inseln mithilfe von GPS-Sendern. Die 30 Gramm leichten, solarbetriebenen Sender übermittelten bis zu sechsmal täglich ihre Positionsdaten mit einer Genauigkeit von 30 Metern an einen Forschungssatelliten.

Um herauszufinden, ob die Tiere auch ohne ihren Geruchs- und Magnetsinn von einem ihnen unbekannten Startpunkt aus zum Ziel Victoriasee finden, durchtrennten sie bei einem Teil der Möwen unter Narkose die Geruchsnerven, bei einem anderen Teil den Trigeminusnerv, der mutmaßlich für die Wahrnehmung des Erdmagnetfelds erforderlich ist. Die Nerven wachsen nach wenigen Monaten wieder zusammen, sodass die Navigationsfähigkeit der Tiere nicht dauerhaft beeinträchtigt ist.

Anschließend wurden die aus Finnland stammenden Vögel per Flugzeug 1250 Kilometer Richtung Südwesten auf die Insel Helgoland verbracht und dort freigelassen. Die Vögel aus Solovki starteten aus der 1260 Kilometer südöstlich gelegenen Stadt Kasan an der Wolga. "Unsere Annahme war, dass beide Startpunkte außerhalb des normalen Flugkorridors der Möwen liegen und die Vögel dadurch eine unbekannte Route nehmen müssen", sagte Wikelski.

Ziel verfehlt

Die Flugdaten zeigen, dass die Heringsmöwen auch von Helgoland aus zum Victoriasee finden. Dafür brauchen sie jedoch ihren Geruchssinn: Möwen mit durchtrenntem Geruchsnerven beendeten ihre Reise zu weit westlich in Zentralafrika. "Ohne ihre Nase merken sie offenbar nicht, dass sie weiter westlich als üblich gestartet sind. Während die unbehandelten Vögel diesen Versatz durch einen zeitweise nach Osten gerichteten Flug kompensieren, können dies die Tiere ohne Geruchssinn nicht", so Wikelski. Informationen über das Erdmagnetfeld nutzen Heringsmöwen demnach nicht zur Navigation: Auch mit durchtrenntem Trigeminusnerv fanden sie ihr Ziel ebenso sicher wie die unbeeinträchtigten Artgenossen.

Zur Überraschung der Forscher fanden jedoch alle Vögel von Kasan aus ihr Ziel – auch ohne ihren Geruchssinn. "Unsere Daten zeigen, dass Kasan gar nicht außerhalb des natürlichen Flugkorridors der Heringsmöwen liegt, wie wir dachten, sondern innerhalb. Die Vögel kannten deshalb die Route und orientierten sich an vertrauten Punkten der Landschaft ohne ihren Geruchssinn", sagt Wikelski. Welche Rolle das Erdmagnetfeld und andere Systeme für die Navigation beim Vogelzug spielen, ist noch weitgehend unklar. (red, 29.11.2015)