Bild nicht mehr verfügbar.

Die Reise nach Europa verschlingt einen Batzen Geld. Viele Flüchtlinge nutzen ihre letzten Ersparnisse für den Neuanfang.

Foto: AP / Ronald Zak

Wien – Bevor Ungarn seine Grenzen dichtgemacht hat, lief das Geschäft für Western Union am Wiener Hauptbahnhof wie geschmiert. Bis zu 100 Flüchtlinge seien am Tag gekommen, erzählt ein Mitarbeiter. Viel Geld ist nach der mühsamen Anreise über den Westbalkan meist nicht mehr übrig. Einige Flüchtlinge tauschen ihre restlichen Dollarscheine um, manche holen sich noch etwas Geld, das Familie oder Freunde nachschicken.

"Jetzt, wo alle über die Steiermark kommen, ist es bei uns wieder ruhig." Wer Geld von A nach B senden will, braucht dafür nicht zwingend ein Konto. Ist man bereit, die satten Gebühren von Western Union, dem weltweit größten Anbieter von "Zahlungsservices", in Kauf zu nehmen, kann Geld binnen weniger Minuten rund um den Globus verschoben werden.

Zu gefährlich

Als Rullah S. etwa im Sommer von Afghanistan aufgebrochen ist, hatte er 500 Dollar eingesteckt. Die Reise nach Wien oder München verschlingt meistens mindestens das Vierfache. Ein Freund hat ihm dann schrittweise Geld über Western Union überwiesen. "Einen Teil habe ich in der Türkei abgehoben, dann wieder ein bisschen etwas in Mazedonien", sagt der 20-Jährige. Sein Freund muss dazu nur mit dem Bargeld in ein Büro von Western Union gehen, die Mitarbeiter teilen ihm dann eine Nummer mit. Die schickt er S. per SMS, der das Geld danach auf der ganzen Welt abheben kann.

Alles auf einmal wollte er nicht mitnehmen, das sei ihm zu gefährlich gewesen. Wer trägt in einer Menschenmasse schon gern tausende Dollar mit sich herum? Der junge Afghane hatte trotzdem Pech: Ein Schlepper hat ihn übers Ohr gehauen, er ist mit dem Auto und einigen Hundert Dollar von S. plötzlich auf und davon gewesen. Kurz darauf bekam sein Freund in Afghanistan eine SMS. S. brauchte Nachschub.

Etwas Bargeld schadet nicht

Jafer A., ebenfalls Afghane, weiß, wovon sein Freund spricht. Der 24-Jährige ist seit zwei Wochen in Österreich. Am Hauptbahnhof angekommen, sei einer seiner ersten Gedanken gewesen: "Gibt es hier Western Union?" 300 Dollar habe ihm seine Familie noch einmal geschickt, sagt er. "Das ist sehr, sehr viel Geld für meine Eltern." Das monatliche Prokopfeinkommen liegt in Afghanistan in etwa bei 150 Dollar. Auch wenn Freiwillige in Österreich Essen und Kleidung verteilen, könne etwas Bargeld für die erste Zeit nicht schaden. Wer weiß, was kommt.

Für viele Österreicher wirkt das zunächst komisch. Mit Flüchtlingen verbinden die meisten Not, Elend und Armut. "Mich wundert das schon", sagt etwa ein Mitarbeiter von Western Union. "Das sind doch Flüchtlinge, und die kommen zu uns und tauschen ihre Dollarscheine um." Doch für die Ärmsten der Flüchtlinge ist die Reise nach Europa meist gar nicht erschwinglich. "Natürlich kommen da auch Leute mit Geld", sagt der deutsche Migrationsexperte Kilian Kleinschmidt. "Flüchtling zu sein ist ja keine Krankheit, das sind keine Aussätzigen, die alle auf Almosen angewiesen sind."

Wieso so viele Männer kommen

Viele würden gerade deshalb flüchten, sagt Kleinschmidt, weil ihre Ersparnisse langsam dem Ende zugehen. Die Konflikte im arabischen Raum dauern nunmehr schon einige Jahre an. Die meisten Flüchtlinge, die in der Türkei, in Jordanien oder im Libanon unterkommen, müssen sich ihre Wohnung selbst finanzieren, sagt Kleinschmidt. "Nur ein Bruchteil lebt in Lagern." Die meisten würden sich eine kleine Hütte bauen, ein unfertiges Haus mieten oder in den letzten Löchern leben. Auch das kostet.

"Es gibt aber auch jene, wo die ganze Familie Schulden aufnimmt, damit einer nach Europa kann", sagt Kleinschmidt, der das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien geleitet hat, in dem fast 100.000 Menschen leben. "Das ist der Grund, warum viele einzelne Männer kommen." Das werde immer wieder kritisiert, liege aber schlicht daran, dass für den Rest nicht genügend Geld da sei, um die Reise zu finanzieren.

Deutsch, dann arbeiten

Davon kann Omar Alzobeer ein Lied singen. Der 25-jährige Iraker hat sich 3.000 Dollar geliehen, um nach Europa zu kommen. Bis auf 600 Dollar hat er bereits alles verbraucht, sagt er. In Mossul hat er Kommunikationstechnik studiert, dann kam der "Islamische Staat", Alzobeer floh. Seine Familie lebt jetzt in Jordanien, er will sich in Österreich durchschlagen. "Zuerst Deutsch lernen und dann gleich arbeiten", sagt er in nahezu perfektem Englisch. Ob er seine Familie später einmal unterstützten möchte? "Ich glaube, das geht nicht", sagt er. "Das Leben ist hier doch sehr teuer."

Für viele Flüchtlinge sei der Druck aber sehr groß, Geld für den Rest der Familie zu erwirtschaften, sagt Angelina Percsy von der Caritas. "Die werden mit großen Hoffnungen ins Ausland geschickt", sagt die Sozialberaterin. Viele würden mit der Vorstellung kommen, binnen weniger Monate Geld verdienen zu können. Die Realität schaue dann anders aus, oft schon wegen der langen Asylverfahren.

Geld, das zum Leben nicht reicht

"Viele zwicken einen Teil der Mindestsicherung ab", sagt Percsy, "obwohl sie mit dem Geld selber nicht auskommen. Das Bisschen wird dann nach Hause zur Familie geschickt." Ein Erwachsener mit positivem Asylbescheid hat Anspruch auf 827 Euro im Monat.

Während Flüchtlinge auf ihren Bescheid warten, müssen sie mit deutlich weniger auskommen. Wer in einer betreuten Unterkunft in Wien lebt, bekommt so etwa nur 40 Euro Taschengeld im Monat. Jeder vierte Asylwerber organisiert sich seine Wohnung aber privat. Und das, obwohl es dafür nur 120 Euro im Monat vom Staat gibt. "Das Geld reicht zum Leben nicht aus", sagt die Caritas-Angestellte. "Junge Männer leben dann oft zu zehnt in einer Miniwohnung."

Kostenlose Konten bei Erste Bank

Wieso dann nicht in einer kostenlosen Unterkunft des Staats wohnen? "Viele wollen es auf eigene Faust schaffen", sagt Percsy. Um ein halbwegs normales Leben starten zu können, braucht es auch ein Konto, um Miete oder Handyrechnung zu zahlen. Die meisten Asylwerber hätten keine Probleme mit den Banken. Die Asylverfahrenskarte reiche als Ersatz für den oft nicht vorhandenen Pass. Die Erste Bank bietet seit September kostenlose Konten für Asylwerber an, 1200 sind schon eröffnet.

Österreichs Bevölkerung wächst durch die Migration jedenfalls, die Wirtschaftsleistung zunächst aber kaum, sagt Marcus Scheiblecker vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Im nächsten Jahr soll sie wegen des Flüchtlingsandrangs um 0,1 Prozent zunehmen. Das ist nicht viel, aber nicht nichts, denn heuer soll das Wachstum zum Beispiel nur 0,7 Prozent betragen. "Das Plus durch die Flüchtlinge liegt vor allem an den zusätzlichen Ausgaben des Staats", sagt Wifo-Ökonom Scheiblecker. Das Geld bleibe aber im Land, denn es werde hauptsächlich für Wohnen, Essen und Transportmittel ausgegeben. (Andreas Sator, Portfolio, 8.12.2015)