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Das oberste Stadtgericht entschied am Donnerstag auf "fünf Jahre", statt der sieben Jahre, zu der Gao im April wegen Geheimnisverrats eines Parteidokuments verurteilt worden war.

Foto: AP/Kin Cheung

Peking – Die Verkündung des Berufungsurteils gegen Gao Yu, eine chinesische Mitarbeiterin der Deutschen Welle, dauerte nur wenige Minuten. Das oberste Stadtgericht von Peking entschied am Donnerstag auf "fünf Jahre", statt der sieben Jahre, zu denen Gao im April wegen Geheimnisverrats verurteilt worden war. Peking wusste, dass die Welt zuschaute, obwohl Gerichtsbeamte Diplomaten mit dem Hinweis abwiesen, dass es kein Verfahren von internationaler Bedeutung sei. Dabei hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die US-Regierung und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt für einen Freispruch der systemkritischen Autorin und Journalistin eingesetzt. Zumindest appellierten sie für eine Freilassung aus humanitären Gründen, um der Herzkranken die medizinische Behandlung zu ermöglichen.

Sechs Stunden später kam dann am Donnerstagabend der positive Bescheid, dass die 71-Jährige "auf eigenen Antrag, dem das Gericht statt gab", das Gefängnis sofort zur medizinischen Behandlung verlassen darf. Aber unter der Auflage, dass sie das nur "vorläufig" tun darf. Eine Freilassung ist das nicht. Der staatliche Nachrichtensender CCTV 13 zeigte erstmals Bilder von Gao im "nicht öffentlichen Prozess" und Szenen ihrer Verurteilung. Dann hieß es weiter, dass sie des Geheimnisverrats schuldig gesprochen wurde. Besonders stellten CCTV und die chinesische Xinhua-Agentur bereits in der Überschrift heraus: "Gao Yu hat ihr Verbrechen gestanden und bereut und darf nach dem Gesetz vorläufig ihre Strafe außerhalb der Haft verbringen."

Am Morgen hatte Anwalt Shang Baojun die Reduzierung der Haftstrafe zwar als Erleichterung bezeichnet, zugleich aber auch gesagt: "Wir sind damit nicht zufrieden. Wir hatten von Anfang an auf unschuldig im Sinn der Anklage plädiert." Shang bestätigte, dass Gao die 19 Monate, die sie schon in Haft verbrachte angerechnet würden. Die 71-Jährige "wirkte gefasst, so als hätte sie nichts anderes erwartet," beschrieb der Anwalt Gaos Reaktion während der Verurteilung. Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Christoph Strässer äußerte Unverständnis über das Urteil, "Ich fordere die chinesische Führung erneut zur Freilassung aller Menschen auf, die wie Gao Yu friedlich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen."

Vermutlich auf Bitten ihrer Familie hatte Gao in der Verhandlung eingestanden, im Sinne der Anklage gegen Chinas Gesetze verstoßen zu haben. Ihr Anwalt sagte, dass dies eine Voraussetzung für das Gericht war, um das ursprüngliche Urteil in der Berufung zu überprüfen und das Strafmaß reduzieren zu können. An der Verurteilung wegen des angeblichen Verbrechens, im August 2013 das geheim gestempelte ZK-Dokument Nummer 9 einem Hongkonger Magazin zukommen gelassen zu haben, und somit die Reideologisierung Chinas auch im Ausland bekannt gemacht zu haben, ändere sich nichts. Das Gericht ignorierte, dass das ZK-Rundschreiben parteiintern bereits weit verbreitet worden war. Peking fordert darin alle Funktionäre auf, mit harter Hand gegen Hochschullehrer, Intellektuelle, Journalisten und alle Veröffentlichungen vorzugehen, die subversives westliches Gedankengut wie etwa das westliche Wertesystem propagieren, von der Pressefreiheit bis zur Unabhängigkeit der Justiz.

Die Signale, die derzeit aus China kommen, deuten auf eine noch einmal weiter verhärtete Innenpolitik hin. Am Dienstag bezeichnete Parteichef Xi Jinping auf einer Sitzung des Politbüros Chinas Öffnungs- und Reformpolitik in einem ideologischen Schwenk als Variante der von der Partei verfolgten "marxistischen Politikökonomie." Als neues Zeichen zur Einschüchterung liberaler Kräfte ließ das Propagandaministerium am Mittwoch den 100. Geburtstag des einstigen Ideologiezaren und Gegners politischer Reformen Deng Liqun zentral feiern.

Mit demonstrativer Kompromisslosigkeit trumpfen Parteifunktionäre derzeit in allen politischen Dialogen mit dem Westen auf. Das erfuhr auch der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Strässer auf der Sitzung des jährlichen bilateralen Menschenrechtsdialogs in Peking. Er fand zeitgleich mit der Berufungsverhandlung gegen Gao Yu statt. Immerhin erlaubte China, dass Strässer im Anschluss an die Sitzung nach Tibet fahren durfte, um sich dort bis Sonnabend vor Ort über die "wirkliche Lage" zu informieren.

Im Fall Gao aber liege Strässer, der sich für sie einsetzte, schief, belehrte ihn Chinas Verhandlungsleiter Li Junhua. Alles sei "sonnenklar und Gao Yu bereits rechtskräftig verurteilt."

In einer spektakulären Pressekonferenz lieferten sich Li und Strässer einen verbalen Schlagabtausch. Er sei verwundert, sagte Li, warum ständig nach Gao gefragt werde. "Warum spielt die deutsche Seite den Fall immer noch so hoch? Sind die Informationen dazu an Ihnen vorbeigegangen? Oder wollten Sie nicht die Unabhängigkeit chinesischer Gerichte anerkennen?"

Pekings rote Linie sei, anderen nicht zu erlauben, sich über Einzelfälle in seine inneren Angelegenheiten einzumischen. China stelle die Rechte der Allgemeinheit, wie Armutsbekämpfung oder das Recht auf Sozialversicherungen für Millionen, über die Rechte des Individuums. Strässer antwortete, dass Menschenrechte unteilbar seien und die Frage nach dem Schutz des Einzelnen und ob dessen Fall symptomatisch für die Rechtspraxis eines Landes ist, sehr wohl in den Menschenrechtsdialog gehören. China könne nicht die beiden von ihm unterzeichneten UN-Menschenrechtspakte voneinander trennen, nur das Abkommen über Wirtschaft und Soziales ratifizieren und den Pakt über bürgerliche und zivile Rechte ignorieren.

Strässer fragte auch nach den vielen kürzlich festgenommenen Anwälten, von denen 30 noch immer in Haft sitzen. Es gäbe Fälle, in denen Familien nicht einmal wüssten, wo die Inhaftierten hingebracht wurden. Chinas Rechtsprechung gehe damit in die falsche Richtung. Li bestritt die Zahlen, sprach von einer "Handvoll" Betroffener, die das Recht missbrauchten, während sich 270.000 Anwälte gesetzestreu verhielten. Er wich auch der Frage nach dem rechtsbeugenden Umgang mit dem Pekinger Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang aus. Seit Juni 2014 sitzt Pu ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft. Alle drei Monate werde diese unter neuen grotesken Vorwürfen verlängert. Journalisten hätten kein Recht bei laufenden Justizermittlungen Auskunft zu erhalten, sagte Li. Sie hätten das Ende des Verfahrens abzuwarten. Punkt und Basta. (Johnny Erling, 26.11.2015)