Eine unheimliche Welt der Freizeiträume, ungeeignet für Jugendliche: Stephan Richters "Einer von uns" sinnt über Gewaltursachen in den heimischen Wohlstandszonen nach.

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Wien – Die Ordnung ist am Ende gestört. Aus einer Flasche Putzmittel ergießt sich träge blaue Flüssigkeit auf den Boden, nicht weit davon entfernt liegt der tödlich verwundete Teenager, der von einem Polizisten niedergeschossen worden ist. Der reglose Körper, die blaue Lacke, der Polizist, der erst langsam realisiert, was er angerichtet hat: Alles das irritiert innerhalb der starren Produktarrangements des Supermarkts, die im Film wie das Symbol einer gleichförmigen Welt wiederholt ins Bild gerückt wurden. Dieses auf visuelle, fast abstrakte Motive ausgerichtete Erzählen ist eine Stärke von Stephan Richters Debütfilm Einer von uns.

An den Fall, der dem Film zugrunde liegt, werden sich noch viele erinnern: Anfang August 2009 wurde ein 14-jähriger Einbrecher in einem Kremser Supermarkt von einem Polizeibeamten angeschossen und starb. Auf das Ereignis folgten lebhafte Debatten – nicht zuletzt der allzu lockere Umgang mit der Dienstwaffe wurde scharf kritisiert. Der Polizist verteidigte sich vor Gericht damit, dass er in der Situation, von Angst übermannt, überreagiert habe.

Anteil- statt Parteinahme

Richters Film lässt sich auf die gängigen Täter-Opfer-Konstellationen allerdings erst gar nicht ein. Einer von uns erzählt die Vorgeschichte des nächtlichen Unglücks in nüchternen, distanzierten Bildern, die keine eindeutige Parteinahme suchen, aber durchaus Anteilnahme erlauben. Szenisch skizziert der Film den Ort, der in seiner öden Verwechselbarkeit für viele Vorstädte Österreichs steht. Eine Supermarkt-Parkplatz-Betonwüste, die von Jugendlichen als Freizeitraum erobert wird. Man hängt herum und raucht, skatet oder schmust, misstrauisch verfolgt von übellaunigen Gesetzeshütern und peniblen Filialleitern.

Die Figuren schabt Richter aus diesem Umfeld nach und nach heraus, keine davon rückt er eindeutig in den Mittelpunkt. Der größte Aufschneider unter den Burschen ist Victor (Christopher Schärf), der Georg-Friedrich-Part in dem Ensemble, dann gibt es Marko (Simon Morzé), der schon einmal saß und deshalb versucht, in niemandes Visier zu geraten; zuletzt den jungen, unschuldigen Julian (Jack Hofer), der gleichsam ohne eigenen Antrieb in den Kreislauf gerät, weil man irgendwann Position beziehen muss. Es ist nicht schwer zu erraten, wer von ihnen ins Mündungsfeuer gerät.

Fehlende Behauptung

Nicht jedes inszenatorische Detail des Films wirkt stimmig. Manchmal wird der Dialekt überbetont, ein anderes Mal hebt sich eine Nebenfigur zu wenig vom Klischee ab. Als das größere Problem erweist sich jedoch die Unentschiedenheit des Films, strukturelle Hintergründe zu vertiefen. Richter nutzt die Möglichkeiten des Milieurealismus sehr zurückhaltend, aber er setzt diesem keine eigene Behauptung entgegen. Hinter den Fassaden des Gewöhnlichen kommt vor allem die kollektive Leere zum Vorschein. Als einzige Gewissheit, dass es keine Schuldigen gibt. (Dominik Kamalzadeh, 22.11.2015)