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Ben Carson und Donald Trump: Nicht nur aussichtsreiche Anwärter auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur, sondern auch vehemente Gegner von Obamas Flüchtlingspolitik.

Foto: AFP PHOTO / FREDERIC J. BROWN

Sie hat etwas Bizarres, die Flüchtlingsdebatte, wie die Amerikaner sie nach den Pariser Anschlägen führen. Man könnte meinen, der Terror des "Islamischen Staats" habe nicht die Stadt an der Seine getroffen, sondern New York, Chicago oder Washington.

Bei aller verständlichen Angst, auch wenn man nachvollziehen kann, dass Paris das Trauma des 11. September 2001 sofort wieder aufleben ließ, der Tenor der Diskussion macht vor allem eines deutlich: Selten hat isolationistisches Denken solche Triumphe gefeiert. Die Sehnsucht nach der Festung Amerika, geschützt durch zwei Ozeane, fernab der Probleme Europas, der Wirren des Nahen Ostens, bestimmt den Diskurs wie schon lange nicht mehr.

Erinnerung an 1941 nach Angriff auf Pearl Harbor

David Bowers ist Bürgermeister von Roanoke, einer 100.000-Einwohner-Stadt im westlichen Virginia. Ein Demokrat, kein Republikaner. In einem offenen Brief verglich er die Gefahrenlage im Jahr 2015 mit der des Jahres 1941. Bowers erinnerte an den Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Zehntausende Bürger japanischer Herkunft in Internierungslagern einsperren ließ. "Die Gefahr, die heute von ISIS ausgeht, ist genauso ernst wie jene, die damals von unseren Feinden ausging", dozierte er und suggerierte, sich ein Beispiel an Roosevelt zu nehmen.

Prompt meldete sich, neben protestierenden Parteifreunden, einer jener Japanese-Americans zu Wort, die einst in den Lagern einsaßen: George Takei, damals noch ein Kind, später Schauspieler, bekannt aus der Serie "Raumschiff Enterprise".

"Fataler Fehler"

So wie man den internierten "Feinden" seinerzeit keinen einzigen Fall von Spionage oder Sabotage nachweisen konnte, hätten sich die 1854 Syrer, die man im Zuge des Bürgerkrieges bisher hereingelassen habe, keiner einzigen terroristischen Handlung schuldig gemacht, schrieb Takei gegen die um sich greifende Hysterie an. "Uns hat man allein danach beurteilt, wie wir aussahen, und das ist so unamerikanisch, wie etwas nur sein kann." Es wäre fatal, diesen Fehler zu wiederholen.

Was die Causa Roanoke illustriert, ist der Grad der Verunsicherung, der sich eines Landes bemächtigt, das sich doch mit den Worten am Sockel der Freiheitsstatue als Fluchtburg versteht für die "geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren".

Umstrittene Gesetzesnovelle

Eine Novelle des Repräsentantenhauses, vorige Woche verabschiedet von 242 Republikanern und 47 Demokraten, knüpft die Aufnahme syrischer Flüchtlinge an einen bürokratischen Hürdenlauf, der das ohnehin schon komplizierte Verfahren um Jahre verlängern kann.

Demnach sollen drei Behördenchefs persönlich garantieren, dass von einem Antragsteller kein Risiko ausgeht. Nicht nur der Minister für Heimatschutz, sondern auch der Direktor des FBI und der Koordinator der Geheimdienste sollen mit ihrer Unterschrift dafür bürgen.

Es ist der Ausdruck einer Stimmung, wie sie Donald Trump und Ben Carson, noch immer die Führenden im Feld der republikanischen Präsidentschaftsbewerber, mit ihrer Macht-die-Schotten-dicht-Rhetorik schüren. Trump schlägt neuerdings vor, alle in Amerika lebenden Muslime in einem speziellen Personenregister zu erfassen.

"Tollwütige Hunde"

Carson vergleicht die Terroristen mit "tollwütigen Hunden" – und Flüchtinge im gleichen Atemzug mit "Hunden" – und er bedient sich einer Metapher aus der Welt des Fliegens: "Wenn du im Flugzeug sitzt, sagen sie doch immer, du sollst dir in einem Notfall zuerst deine eigene Sauerstoffmaske aufsetzen, bevor du deinem Nachbarn hilfst".

Auch Chris Christie, der Gouverneur von New Jersey, eigentlich kein rechter Populist, stimmte mit schrillen Äußerungen ein in den Chor der Bedenkenträger. Nicht einmal Waisen unter fünf Jahren, betont er, würde er ausnehmen von einem Aufnahmestopp.

Hinweis auf Boston-Bomber

Wie absurd es ist, sich in der Terrorismusdebatte auf die Vertriebenen des Syrienkonflikts zu konzentrieren, zeigt schon die Vorgeschichte der Marathonbomben von Boston, des Attentats, das schon einmal Erinnerungen an den 9/11-Schock weckte. Die Täter, die Brüder Tamerlan und Dschochar Zarnajew, waren 2002 mit Touristenvisa aus Russland in die USA eingereist, der eine 15, der andere acht Jahre alt.

Ihre Eltern, der Vater Tschetschene, bekamen Asyl, die Familie durfte bleiben. Welcher Beamte, fragen kühlere Köpfe, habe 2002 schon die Radikalisierung des Bruderpaars voraussehen können – in Boston, nicht in der nahöstlichen Ferne. (Frank Herrmann aus Washington, 23.11.2015)