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Noch ahnen sie nicht, dass eine böse Hexe sie in eine leckere Mahlzeit verwandeln will: Daniela Sindram (als Hänsel) und Ileana Tonca (als Gretel) an der Wiener Staatsoper.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien – In jener fernen Zeit, da Bilder noch nicht laufen konnten, war's für die Oper ein Leichtes zu betören. Sie war quasi konkurrenzfrei. Mittlerweile, da der junge potenzielle Opernfreak längst durch Herr der Ringe (oder gar die Chroniken von Narnia) vermittelt bekam, wie Bilderzauberei funktioniert, könnte ihm eine Inszenierung – besonders eine Märchenoper betreffend – doch etwas läppisch vorkommen.

Begrüßenswert insofern, dass Regisseur Adrian Noble auf eine heiße technische Novität zurückgriff, die im späten 19. Jahrhundert zum Massenhit und durch Noble mit aktuellen Filmmitteln belebt wurde – die Laterna magica. Es sitzt also eine ganze liebe Familie zu Weihnachten in warmer britischer Stube, und Papa zaubert mit dem Gerät wundersame Bilder an die Wand, bis sich – Simsalabim! – der Raum weitet: Zwei seiner Kinder finden sich inmitten jener Welt, in der Hänsel und Gretel Hungerspiele veranstalten müssen.

Noble hat das ganze Setting der Laterna-magica-Perspektive angepasst, was die Dominanz des Kreisrunden bedingt. Filmische Stilmittel ermöglichen ihm zusätzlich auch eine Ebene einzuziehen, die mitunter – um die Figuren herum – etwas Fantasy-Atmosphäre zaubert.

Stimme und Auge

Da erscheint die Hexe zunächst ausschließlich als Stimme plus Riesenauge. Und mild lächelt andernorts ein putziges Mondgesicht auf die schlafenden Geschwister herab. Das ergibt ansehnliche Bilder, denen ein sich farblich wandelnder Wald als Leitmotiv dient.

Ansonsten verharrt Noble dienstbar bei der Geschichte von der mörderischen Hexe: Ihr verlockendes Knusperhäuschen ist so klein wie ein mittlerer Weihnachtsbaum, dafür ist der Ofen von besonderer Imposanz, wie auch der Käfig, in dem Hänsel gehalten wird. Ganz klar: Hier geht es nicht einfach wieder einmal um eine praktikable Inszenierung, die in ökonomisch heikler Zeit mit Repertoiretauglichkeit beschenken soll. Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel soll alles können: für kleine wie für älter Kinder das Gute siegen lassen, keine blöden Fragen stellen und also keinen Deutungsschrecken verbreiten. Nicht einmal in einer Stadt, in der das Unbewusste psychoanalytisch entdeckt wurde.

Keine Langeweile

Bis zum hitzigen Ofenende der Hexe (schön kantig und bissig Michaela Schuster), bis zu ihrer Kuchenwerdung und der Befreiung der Kleinsten (Kinder der Staatsopernschule) vergeht die Zeit allerdings ohne Langeweile – auch dank der Regie. Gibt es ja an der Staatsoper Inszenierungen, bei denen wegen der Regiestatik der Unterschied zwischen Sänger und Bühnenbild schwindet, hat Noble das Geschwisterpaar durchaus lebendig gestaltet.

Da ist zwar mitunter szenischer Leerlauf, es wirkt das meiste jedoch bewusst in die Wege geleitet – und gesungen wird in Summe brauchbar. Clemens Unterreiner (als Peter Besenbinder kurzfristig für Adrian Eröd eingesprungen) bewältig die Partie tadellos, etwas angestrengt klingt Janina Baechle (als Gertrud). Durchaus kompakt und klangvoll gibt sich Daniela Sindram (als Hänsel), ebenso Ileana Tonca (als Gretel), der bisweilen ein paar kostbar-kantable Momente gelingen. Solide Annika Gerhards (als Sandmännchen und Taumännchen).

Erst Dirigent Christian Thielemann und das Staatsopernorchester erheben Humperdincks Hänsel und Gretel jedoch zu einer Besonderheit, die sie im Orchestralen tatsächlich auch ist. Massig ist der Klang, aber niemals dick-behäbig, nie legt er sich über die motivischen Delikatessen. Thielemann sorgt für ein elegantes Dahinfließen der Linien, das romantische Schwelgen hat jedoch immer jenes Maß an Transparenz und Leichtigkeit, das nötig ist, um diese edle Musik vielfältig schillern zu lassen.

Nach einem etwas zu kitschigen und handwerklich nicht sauberen Ende Applaus für alle. Wobei der Dirigent schließlich am heftigsten gefeiert wurde. (Ljubisa Tosic, 20.11.2015)