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30 Jahre lang war Jonathan Pollard ein politischer Spielball zwischen den USA und Israel. Kundgebungen für seine Freilassung gab es in dieser Zeit immer wieder (Archivbild aus dem Jahr 2013).

Foto: APA / AFP / Ahmad Gharabli

Als Israelis und Palästinenser 1998 am Wye River in Maryland, unter der Ägide Bill Clintons, über eine Friedenslösung verhandelten, stand die Freilassung Jonathan Pollards schon einmal auf der Tagesordnung. Der Gastgeber spielte mit dem Gedanken, den Spion zu begnadigen – gleichsam als Draufgabe, um Benjamin Netanjahu, damals wie heute Regierungschef Israels, Kompromisse schmackhaft zu machen.

George Tenet, zu jener Zeit Direktor der CIA, soll empört mit seinem Rücktritt gedroht haben. Ein solcher Schritt, soll er gesagt haben, würde seine Leute in Rage bringen; dazu habe Pollard einfach zu viel Schaden angerichtet. "Damit war die Sache für Clinton vom Tisch", schreibt der Diplomat Dennis Ross, der mehreren US-Präsidenten als Nahostunterhändler diente, in einem kürzlich erschienenen Memoirenband über das Auf und Ab in den amerikanisch-israelischen Beziehungen.

Iran-Deal als Hintergrund

Am Freitag kam Pollard jetzt tatsächlich frei, inzwischen 61 Jahre alt, fast auf den Tag genau 30 Jahre nach seiner Festnahme. Zu lebenslanger Haft verurteilt, durfte er das Hochsicherheitsgefängnis von Butner, mitten in den Kiefernwäldern des US-Bundestaates North Carolinas gelegen, vorzeitig verlassen. Und auch diesmal war Pollard so etwas wie Verhandlungsmasse gewesen.

Im Juli, Barack Obama kämpfte gerade darum, das Nuklearabkommen mit dem Iran gegen den Widerstand einer potenziellen Zweidrittelmehrheit im Kongress durchzusetzen, kam sein Justizministerium zu dem Schluss, dass einer Begnadigung nichts mehr im Wege stehe.

Zwar bestritt das Weiße Haus irgendeinen Zusammenhang zwischen der Causa Iran und der Causa Pollard. Nur gibt es in Washington keinen, der das Dementi für bare Münze nimmt. Offensichtlich soll die Entscheidung dazu beitragen, Netanjahu zumindest das Gefühl eines kleinen Sieges zu geben, nachdem er das große Duell mit Obama – jenes um den Atomdeal – verloren hat.

"Jahrhundertspion"

Der investigative Journalist Seymour Hersh charakterisiert Jonathan Jay Pollard als eine Art "Jahrhundertspion", der den Israelis praktisch das Tafelsilber lieferte; im Grunde alles, was brisant war. Die Schattenwelt hat ihn früh gereizt. Geboren in South Bend, einer Industriestadt im mittelwestlichen Indiana, bewarb er sich gleich nach dem Studium an der Eliteuniversität Stanford bei der CIA. Genommen wurde er nicht, weil man ihn, so schilderte es Hersh vor Jahren im New Yorker, nach dem Einsatz eines Lügendetektors als notorischen Hochstapler einstufte: Pollard erzählte die tollsten Geschichten über angeblich beste Kontakte zum Mossad.

Bei der Flotte hatte er später mehr Glück. Deren Geheimsparte stellte ihn ein, und nachdem 1983 ein Sprengstoffanschlag auf eine Kaserne der Marineinfanterie in Beirut 241 Amerikaner das Leben gekostet hatte, wurde er der Analyse-Abteilung der Navy zugeordnet. Damit bekam er Zugang zum kompletten Topsecret-Fundus der US-Regierung. 1984 warb ihn Lakam an, der Geheimdienst des israelischen Verteidigungsministeriums.

Pollard kassierte 2500 Dollar pro Monat und obendrein üppige Spesen. Seine Auftraggeber bekamen dafür alles, was die Amerikaner über die Armeen arabischer Länder, über die PLO, eventuelle Chemie- und Biowaffenprogramme des Irak, Libyens und Syriens sowie die Nuklearforschung Pakistans wussten. Dazu Satellitenaufnahmen und eine lückenlose Übersicht darüber, wen die NSA wo und wie abhörte – Freunde und Verbündete eingeschlossen.

Israelis, PLO und Moskau

Folgt man dem Reporter, dann nutzten die Israelis ihr Wissen, um die Amerikaner im Dunkeln tappen zu lassen, als ihre Luftwaffe 1985 das Hauptquartier der PLO in Tunis attackierte. Außerdem könnten sie brisante Informationen – etwa über die Methoden, mit denen die US-Navy weltweit die Bewegungen sowjetischer U-Boote verfolgte – nach Moskau weitergegeben haben, um die Zusage des Kreml zur Ausreise sowjetischer Juden zu sichern.

Es endete mit einem kleinen Drama: Am 21. November 1985 wurde Pollard von Detektiven des FBI festgenommen, nachdem er und seine damalige Ehefrau Anne in der israelischen Botschaft in Washington vergeblich um Asyl angesucht hatten. Der Fluchtplan, erzählte neulich der frühere Lakam-Chef Rafi Eitan, hatte anders ausgesehen: Demnach sollte sich Pollard, sobald er Gefahr witterte, in einen Linienbus setzen und nach Kanada fahren. (Frank Herrmann aus Washington, 20.11.2015)