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In US-Restaurants ist Trinkgeld eine richtig wichtige Angelegenheit.

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Danny Meyer will es nun abschaffen.

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Danny Meyer ist dabei, die New Yorker Gastronomie zu revolutionieren, aber nicht etwa, indem er auf aufregende Variationen dessen anbietet, was man in Amerika "fusion cuisine" nennt, die Vermählung so unterschiedlicher Nationalküchen wie, sagen wir, der portugiesischen und der nepalesischen. Vielmehr hat Meyer beschlossen, das Trinkgeld abzuschaffen. Seit November gilt das für all seine 13 Lokale, unter denen sich mit dem "Modern", angesiedelt im Hof des Museum of Modern Art in Manhattan, ein ziemliches Juwel befindet. Nur soll das Signal eine Wirkung entfalten, die weit hinausreicht über das Danny-Meyer-Imperium.

Wohlgemerkt, es geht um den Abschied vom "Tip", der in amerikanischen Restaurants so opulent ausfällt, dass Touristen, die zum ersten Mal über den Großen Teich fliegen, gut beraten sind, rechtzeitig die Landessitten zu studieren, wollen sie sich nicht als Geizhälse blamieren. "Tip", ist von Historikern zu erfahren, steht abgekürzt für die Floskel "To Insure Promptitude", sich prompter Bedienung zu versichern, und geht zurück auf die Aristokraten der Alten Welt. Als das Bürgertum der Neuen Welt die Praxis zu übernehmen begann, schon um zu zeigen, dass es sich – von wegen provinziell – auskannte mit den Regeln Europas, gab es heftige Proteste. Die Anti-Tipping-Bewegung, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts formierte, sprach von undemokratischer, ergo unamerikanischer Erniedrigung des Personals. Und heute sind Amerikaner Weltmeister in Sachen Tip.

Mindestens 15 Prozent Trinkgeld

Der Kellnerin beziehungsweise dem Kellner, die/der sich namentlich vorgestellt ("Hi folks. My name is Samantha, and I'm serving you tonight") und zwischendurch mindestens fünfmal nachfragt hat, ob alles in Ordnung sei, stehen 15, 18 oder 20 Prozent Trinkgeld zu. Damit der Kunde nicht lange grübeln muss, wird der Betrag zur Orientierung oft gleich mit auf die Rechnung gedruckt, in drei Varianten, verbunden mit der unausgesprochenen Aufforderung, auf gar keinen Fall unter der niedrigsten zu bleiben. Wobei 15 Prozent in Städten wie New York und Washington mittlerweile als knausrig gelten und 25-prozentige Aufschläge allmählich zur Norm werden.

Übrigens, bei "Miss Manners", der Benimmberatungsrubrik der "Washington Post", ging es einmal um die Frage, wie sich ein Norweger, der schon seit geraumer Zeit in den USA lebt, aber nach wie vor nicht an die Philosophie des Trinkgeldzahlens glaubt, im Angesicht der Rechnung verhalten soll. Die Antwort an die ratsuchende Leserin fiel ziemlich kurz aus. "Sagen Sie Ihrem Freund, er braucht an die Philosophie nicht zu glauben. Alles, was er tun muss, ist, das Trinkgeld zu berappen." Falls er etwas auszusetzen habe, möge er sich an die Geschäftsführung wenden, seinem Ärger aber um Himmels willen nicht in Form gekürzten Trinkgelds Ausdruck verleihen. Schließlich gleiche der Aufschlag – bitte beachten, mindestens 15 Prozent! – nur aus, was an Grundgehalt fehle. Ohne ihn komme kein Kellner über die Runden.

Sexuelle Belästigung wegen Trinkgelds

Der gesetzliche Mindestlohn, in den meisten Bundesstaaten liegt er bei 7,25 Dollar pro Stunde, gilt in aller Regel nicht für Beschäftigte, die regelmäßig Trinkgeld kassieren. Für sie gilt stattdessen ein Sub-Mindestlohn, und der ist in New York 2011 auf fünf Dollar gestiegen, nachdem er lange bei 2,13 Dollar eingefroren war. Das dringend reformbedürftige System, schreibt Saru Jayaraman, Dozentin an der kalifornischen Universität Berkeley, bringe ein Ausmaß an sexueller Belästigung hervor, wie es keine andere Branche zu beklagen habe. Zu schätzungsweise 70 Prozent seien es Frauen, die in Restaurants servieren, "und solange sie vom Trinkgeld leben, sind sie gezwungen, ungebührliches oder gar demütigendes Verhalten ihrer Kunden, Kollegen und Chefs hinzunehmen".

Danny Meyer, so scheint es, hat die Beschwerden erhört. Er will den Grundlohn anheben, sodass man auch ohne Trinkgeld von einem Job in der Gastronomie halbwegs leben kann. Zwar werden die Speisekarten seiner Lokale höhere Preise ausweisen, unterm Strich aber dürfte es aufs Gleiche hinauslaufen. Ob er zufrieden war oder nicht, soll der Gast fortan durch die Vergabe von Sternchen erkennen lassen, so ähnlich, wie es bereits nach einer Fahrt mit dem Taxi-Ersatz Uber geschieht. Das neue Bewertungssystem, glaubt Meyer, sei präziser als jenes, bei dem ein 15-Prozent-Obolus die Mindestpflicht sei und es so gut wie niemand wage, die Marke zu unterschreiten. "Heute weiß ich gar nicht, wo die Schwachstellen in unseren Teams liegen. Das wird sich hoffentlich ändern." (Frank Herrmann aus Washington, 19.11.2015)