Ein Filmbild, das einen Theaterabend schmückt: Erni Mangold (als "Flora") und Falvio Schily in "La Pasada" im Wiener Metrokino.

Foto: Hochenbichler

Wien – Ohne Vorwarnung wird im Metrokino eine heikle Kunstform wiederbelebt. Anna Maria Krassnigg (Regie) und ihr Salon5 stiften Hochzeit. Die Frucht dieser höchst eigenwilligen Verbindung aus Kino und Bühnenspiel nennt sich La Pasada – Die Überfahrt. Sie läuft nach ersten Versuchen im Thalhof zu Reichenau nun auch im Lichtspieltheater in der Wiener Johannesgasse.

Der Text stammt aus der Feder der geheimnisvollen Italienerin Anna Poloni. Schwer zu sagen, ob ihr Melodrama für die Anforderungen einer "Kinobühnenschau" wie geschaffen erscheint. Man versinkt nicht ohne gröbere Verständnisprobleme im daunenweichen Plüsch. Das wesentliche Motiv bildet das schöne, weise Antlitz Erni Mangolds, die in der Rolle einer gewissen Flora Stern ein "Mädchen von 86 Jahren" spielt.

Flora ist tot. Zumindest bettet der Afrikaner "Cal" (David Wurawa) eine in weiße Spitze gehüllte Mädchenleiche auf eine abschüssige Tafel. Über die Leinwand dahinter flackern Bilder, und der Betrachter müht sich, die beiden Handlungsebenen im Geist miteinander zu versöhnen.

Caliban ist, weit über Floras Exitus hinaus, ihr dienstbarer Geist. Zum Totenmahl hat er die angeblichen Kinder der lebenslustigen Dame gebeten. La Pasada gleicht einer höchst verzwickten Familienaufstellung. Die Gespenster der Vergangenheit spuken durch Aufnahmen von der spanischen "Costa de la luz". Ein etwas teigiger Herr (Martin Schwanda) freit die jugendliche Flora, die ihm zwei Kinder gebärt und dennoch vor seiner aufdringlichen Präsenz das Weite sucht.

Ein Enkelkind (Flavio Schily) besucht die reife Flora (Mangold). Der Findling heißt "Ariel", womit die dienstbaren Geister von Prosperos Eiland aus Shakespeares Sturm glücklich in Spanien und in Reichenau an der Rax versammelt wären. Manchmal knirschen einzelne Sentenzen sandig: "Ich will leben, statt tot sein im Leben."

Das Stück könnten sich jedenfalls Federico Garcia Lorca und Alain Resnais bei einem Fass Portwein miteinander ausgedacht haben. Der Effekt von Krassniggs Arbeit ist merkwürdig. Irgendwann sind einem die familiären Verwicklungen herzlich egal. Aber eine Vielzahl der Bilder zeugt von durchdringender Kraft. In diesem Kaleidoskop werden Partikel aus Gegenwart und Erinnerung durcheinandergeworfen. Die Einzelmomente lösen sich und tanzen wie Flocken auf dem Bewusstseinsstrom. Das letzte Wort hat der Tod. Aber diese Kinobühnenschau beweist eine ganze Menge Leben. (Ronald Pohl, 19.11.2015)