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In monatelanger Arbeit festgehaltener Augenblick: Vija Celmins' "Untitled (Ocean)", 1970.

Foto: Tamarind Lithography Workshop, Inc., Los Angeles

Wien – In turbulenten Zeiten kann es hilfreich sein, sich auf das Beständige zu besinnen. Eine Gelegenheit dazu bietet derzeit die Secession: Deren auf fabelhafte Art weltentrückte Personale der US-amerikanischen Künstlerin Vija Celmins (geb. 1938 in Riga) besteht zu weiten Teilen aus Darstellungen von Sternenhaufen und -himmeln, Meeresoberflächen oder auch Steinchen auf einem Wüstenboden. Die größtenteils schwarz-weißen Bilder verströmen ungemeine Ruhe.

Sie rührt von der liebevollen Geduld her, mit der Celmins ihre Arbeiten anfertigt. Die Künstlerin nimmt sich des Wellenspiels der Meeresoberfläche nämlich keineswegs per Fotografie an, sondern sie investiert Monate, bisweilen Jahre, um das Ephemerste und Unscheinbarste in Gemälden oder jenen Druckgrafiken zu verewigen, die in der Secession im Vordergrund stehen.

Wer diese Bilder freilich nach ihrem Sujet einordnet, wird in der Secession wenig Freude haben. Mitunter reiht sich hier Galaxie an Galaxie, Meer an Meer. Gut, Celmins' Abbildungen von Spinnennetzen "geben was her", indem sie an die künstlerische Raffinesse der Natur erinnern. Derselben entspringen zwar auch die Kompositionen dichter Sternenhaufen oder rauschender Wellen. Dennoch vermitteln sie mit scheinbarer "Ungestaltetheit" das Gefühl, ins Nichts zu blicken – zunächst.

Denn wer sich darauf einlässt, schaut einen faszinierenden Kosmos feinsinniger Kleinigkeiten – und erfährt einen Perspektivenwechsel, den die Künstlerin in den frühen 1960er-Jahren in der kalifornischen Wüste auch selbst erlebte. "Zuerst dachte ich, es gibt dort nichts. Dann begann ich, Dinge zu sehen", notierte sie in der Skizze für ein Künstlerstatement.

Geschätzte Einsamkeit

Ihre Werke bieten nun die Gelegenheit einer ähnlichen quasi-mystischen Übung à la John Cage, der bekanntlich die Stille zur Komposition erklärte: Das, was gemeinhin Hintergrund ist, übersehene Grundlage, auf der etwas "passieren" müsste, offenbart sich als dichte Erzählung. In derselben kann man nicht zuletzt den Entstehungsprozess des Werks und die von Celmins geschätzte Einsamkeit nacherleben.

Es besteht nämlich ein entscheidender Unterschied zu Cage: Ging es diesem darum, die Handschrift des Komponisten so weit wie möglich zurückzunehmen, so ist Celmins in ihrer Kunst höchst präsent. Über ihre Malerei sagte sie einmal, das Argument entkräftend, dass ihre Arbeitsweise wohl langweilig sein müsse: Diese Gemälde anzufertigen sei, wie "dort" zu sein. Mit Abertausenden kleiner und kleinster Entscheidungen schreibe man sich ins Werk ein.

Als realistisch sollte man Celmins' Kunst indes nicht missverstehen. Die Künstlerin lenkt den Blick nicht eigentlich auf die Phänomene, die sie abbildet, sondern vielmehr auf den Prozess, der ihre grenzenlosen Sujets als Bilder an die Wand bringt. Sei das nun der Kunstgriff, bei Meeresbildern den Horizont auszusparen, um die Größenverhältnisse im Unklaren zu lassen. Oder die Tatsache, dass das Licht zu ebenmäßig auf die Steinchen in der Wüste fällt, um reales Sonnenlicht zu sein. Tatsächlich gibt es also bei Celmins auch ein raffiniertes Spiel mit der nachahmenden Kunst nachzuvollziehen.

Fragen von Mikro- und Makrokosmos bestimmten auch eine Serie aus den 80ern, in der Celmins etwa Darstellungen von Flugzeuge oder Schiffen mit ihren Galaxien kombiniert. Schöne Ironie entspinnt sich dort, wo zivilisatorische Objekte und wissenschaftliche Darstellungen größer erscheinen als die mit ihnen im selben Bild kombinierten endlosen Weiten. (Roman Gerold, 19.11.2015)