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Der jordanische König Abdullah vor einer Woche bei einem Besuch in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Derzeit ist er auf Europatour, am Dienstagabend traf er vom Kosovo kommend in Wien ein.

Foto: Reuters / Faisal al Nasser

Amman/Wien – Die geografische Lage Jordaniens bringt es mit sich, dass es von keiner der Krisen des 20. und 21. Jahrhunderts im Nahen Osten unberührt geblieben ist: Wie sehr auch das Auftreten des "Islamischen Staats" (IS) in der Region das haschemitische Königreich direkt betrifft, wurde entsetzlich deutlich, als Anfang Jänner 2015 der IS den von ihm gefangen genommenen jungen jordanischen Kampfpiloten Muazz al-Kasasbeh verbrannte und das Video verbreitete.

Jordanien als Teil der US-geführten Luftallianz gegen den IS reagierte mit einer erhöhten Schlagzahl seiner Angriffe gegen den IS und tötete dabei nach eigenen Angaben mehrere tausend Kämpfer. Der Auftritt des racheschwörenden Königs Abdullah II., der am Mittwoch einen Wien-Besuch absolviert, gehört seitdem zur offiziellen jordanischen Ikonografie.

Heikle Aufgabe

Bei den Syria Talks vergangenes Wochenende in Wien wurde Jordanien als Mitglied der ISSG (International Syria Support Group) mit einer heiklen Aufgabe betraut: Die Jordanier haben die Koordination der Erstellung einer Liste der Terrororganisationen in Syrien übernommen, das heißt jener Gruppen, die nicht nur nicht bei politischen Verhandlungen über die Zukunft Syriens am Tisch sitzen sollen, sondern auch mögliche militärische Ziele sind. Mit dem IS und der syrischen Al-Kaida-Filiale Nusra-Front ist das relativ einfach – mit anderen Gruppen, die auch von der ISSG angehörenden Staaten unterstützt werden, schon viel weniger.

Als Problemfall werden etwa häufig die Ahrar al-Sham genannt, deren Ideologie mit einer demokratischen Zukunft Syriens wohl kaum in Einklang zu bringen sein wird. Zugehörigkeiten zu der einen oder anderen Gruppe sind oft auch wechselnd oder gar parallel – ganz abgesehen davon, dass die Frage zu klären ist, wohin eine Gruppe gehört, wenn sie mit dem IS oder Nusra zusammenarbeitet.

Streben nach Kontrolle

Jordanien scheint prädestiniert für diese Aufgabe, weil es innerhalb des ISSG eine Sonderrolle einnimmt: Von Beginn der Syrien-Krise an hat es eng mit den USA, aber auch mit Saudi-Arabien zusammengearbeitet; gleichzeitig hat es auf die russische militärische Intervention, die die Spielregeln in Syrien geändert hat, nicht mit der gleichen vehementen Ablehnung reagiert. Die jordanische Führung hat als Nachbarland Syriens und als Zielland des IS – dem Königreich wird von den Jihadisten seine Gründung im Jahr 1921 durch Großbritannien, durch die Teilung des Palästina-Mandats des Völkerbundes, vorgeworfen – vor allem ein Interesse: dass der jihadistische Wahnsinn endlich unter Kontrolle gebracht wird.

Wie alle Länder der Region (und nicht nur der Region) hat auch Jordanien das Problem, dass Teile der Bevölkerung für die jihadistischen Ideen ansprechbar sind: In den Reihen des IS kämpfen auch Jordanier, und ein Jordanier, Zarqawi, war es auch, der die IS-Vorgängerorganisation gegründet hat. Umfragen – aber auch, wie jordanische Intellektuelle kritisieren, manche Schulbücher – belegen die mangelnde Distanz zu salafistischem Gedankengut. Die islamistische Opposition im Königreich wird politisch klein gehalten – was natürlich andererseits viele Jordanier als Segen betrachten.

Alle Flüchtlingswellen

Wenn Abdullah in Wien über Flüchtlinge redet, dann weiß er besser als jeder andere, worüber er spricht. Hier hat das Land Außerordentliches geleistet, von der Aufnahme von Palästinensern, die, anders als in anderen arabischen Staaten, die Staatsbürgerschaft bekamen, über die Iraker in den diversen Flüchtlingswellen der 1980er- und 1990er-Jahre sowie nach 2003 und wieder, seit der IS ein Drittel des Landes besetzt hält.

Die Zahl der syrischen Flüchtlinge wird von der jordanischen Regierung mit 1,4 Millionen angegeben (nicht alle davon sind beim UNHCR registriert). Nur etwa 20 Prozent davon leben laut dem Uno-Flüchtlingswerk in Lagern, der Rest lastet direkt auf den Gemeinden. Es gibt auch noch kleinere Gruppen von Flüchtlingen aus dem Sudan und aus Somalia. Die Belastung der Infrastruktur und der Ressourcen in dem strukturschwachen Land ist enorm.

Auch in Jordanien fühlt sich die Bevölkerung oft überfordert. Laut der International Labor Organization würden 85 Prozent der jordanischen Arbeiter die Grenzen schließen, 65 Prozent würden alle Syrer in Flüchtlingslagern konzentrieren. Für die jordanische Regierung wird der Spagat zwischen Hilfsbereitschaft und sozialem Druck immer schwieriger. Ländern wie Jordanien mehr zu helfen, wäre mehr als vernünftig – für sie selbst, aber auch für Europa. (Gudrun Harrer, 17.11.2015)