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Karl Landsteiner 1940 an seinem Arbeitsplatz am Rockefeller Institute in New York. 1901 hatte er in Wien die Blutgruppen entdeckt und dadurch die moderne Medizin revolutioniert. Als er dafür 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt, war er bereits US-Amerikaner.

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Wien – Im Jahr 2014 wurde in Österreich nach Angaben des Roten Kreuzes durchschnittlich alle 80 Sekunden eine Blutkonserve benötigt. Sei es nach Unfällen, bei Operationen, schweren Krankheiten oder Geburten: Das Blut gesunder Spender rettet täglich Menschenleben, Bluttransfusionen sind aus dem heutigen medizinischen Alltag nicht mehr wegzudenken.

Die Voraussetzung dafür schuf zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Forscher, dessen Name in der öffentlichen Wahrnehmung weit hinter den Folgen seiner bahnbrechenden Entdeckungen zurückblieb: Karl Landsteiner. Der 1868 in eine jüdische Familie in Baden bei Wien geborene Mediziner löste mit seinen Forschungen 1901 ein Problem, an dem Ärzte seit Beginn der Neuzeit gescheitert waren.

Warum verschlechterte die Übertragung fremden Blutes an Patienten, die ganz offensichtlich einen Blutverlust erlitten hatten, häufig ihren Zustand oder verursachte sogar ihren Tod? Landsteiner entdeckte, dass es beim Kontakt von Blut zweier Menschen oft zu gefährlichen Verklumpungen der roten Blutkörperchen kam.

Seine bald bestätigte Theorie dazu publizierte er erstmals 1901 in einer Fußnote des Beitrags "Über Agglutinationserscheinungen normalen menschlichen Blutes" in der Wiener klinischen Wochenschrift: Womöglich liege die sogenannte Hämagglutination daran, dass es verschiedene Blutgruppen gebe.

Behandlungsdurchbruch

In weiterer Folge gelang es ihm, die Blutgruppenmerkmale A, B und C (später 0) zu identifizieren. Mehr noch, Landsteiner realisierte, dass die Verklumpung nie bei Personen ein und derselben Blutgruppe auftrat, sondern nur bei Fusionen bestimmter Gruppen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurde 1907 in New York die erste erfolgreiche Bluttransfusion durchgeführt, die schon bald auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges ihre bis dahin größte Anwendung finden sollte.

1903 hatte sich Landsteiner an seiner Alma Mater, der Universität Wien, habilitiert. In den folgenden Jahren arbeitete er als Assistent am Pathologisch-Anatomischen Institut und forschte unter anderem zur Übertragung der Kinderlähmung. Zusammen mit Erwin Popper erarbeitete er die Grundlage für die Poliobekämpfung.

Doch seine wissenschaftlichen Erfolge beförderten nicht gerade eine steile Karriere an der Universität Wien. Seine international vielbeachteten Leistungen wurden zwar auch in Wien wahrgenommen, allerdings nicht sonderlich honoriert. Nach dem Ersten Weltkrieg beantragte Landsteiner eine bezahlte außerordentliche Professur, die er 1920 zwar erhielt, allerdings unter unzumutbaren Zusatzverpflichtungen.

Bei der zurückhaltenden Anerkennung seiner Arbeit und der Blockierung seiner Karriere dürften neben der schlechten wirtschaftlichen Situation nach dem Krieg auch antisemitische Motive eine Rolle gespielt haben.

Abschied von Wien

Dass Landsteiner, Sohn jüdischer Eltern (sein Vater war übrigens der erste Chefredakteur der Tageszeitung "Die Presse"), bereits als junger Mann 1890 zum katholischen Bekenntnis konvertiert war, verschonte ihn wohl nicht gänzlich vom grassierenden Wiener Antisemitismus, der auch an der Universität schon längst Wurzeln geschlagen hatte.

Die wirtschaftliche Lage und berufliche Perspektivlosigkeit veranlasste ihn dazu, seine Wirkungsstätte 1919 schweren Herzens zu verlassen. Zunächst übernahm er die Leitung der Prosektur eines kleinen Krankenhauses in Den Haag, wo er weiterhin an serologischen Fragestellungen forschte, ehe er 1922 eine Anstellung am Rockefeller Institute (heute Rockefeller University) in New York erhielt. Hier begann die letzte, abermals äußerst produktive Phase des als arbeitswütig geltenden Forschers. Die Ergebnisse seiner New Yorker Jahre schlagen sich in mehr als 160 Publikationen nieder. Als er für seine Entdeckung der Blutgruppen 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt, war er bereits US-amerikanischer Staatsbürger. Zehn Jahre später beschrieb er mit seinem Schüler Alexander Wiener den Rhesusfaktor und damit ein weiteres wichtiges Blutgruppensystem.

Am Rockefeller Institute blieb Landsteiner nicht nur seine gesamte übrige Laufbahn, sondern buchstäblich bis ans Lebensende. Er erlag 1943 im Alter von 75 Jahren den Folgen eines Herzinfarkts, den er, bereits pensioniert, bei der Arbeit in seinem Labor erlitten hatte. Die Universität Wien hielt sich mit der Würdigung eines ihrer erfolgreichsten Absolventen aber noch lange zurück – bis weit über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus. Erst 1961 wurde ein Denkmal im Arkadenhof der Uni errichtet. "Inzwischen ist das natürlich längst kein Thema mehr, sein Bild steht in der Aula unter den Nobelpreisträgern", sagt Mitchell Ash, Wissenschaftshistoriker an der Uni Wien, "aber leider ohne Vermerk dazu, weshalb er Wien verlassen hat." (David Rennert, 20.11.2015)