Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung ist mit einem Arbeitsvertrag nicht vereinbar, findet das Sozialministerium.

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Wien – Im Umgang mit Prostitution tut sich die Politik seit jeher schwer. Generell sittenwidrig ist sie laut Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht. Aber wie sind Sexdienstleistungen aus arbeitsrechtlicher Sicht einzustufen? Ein Gesetzesentwurf von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bringt das Thema wieder aufs Tapet und sorgt auch für massive Kritik.

Das Sozialressort ist der Ansicht, dass Prostitution nicht in Form eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgen darf. Konkret sei es nicht zulässig, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, weil dieser "auf die Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen hinausläuft". Und: Die "Prüfung der persönlichen Abhängigkeit", die für das Vorliegen einer Anstellung nötig wäre, sei nicht mit dem in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung vereinbar.

Nur mehr Selbstständige

Daher sollen Prostituierte künftig verpflichtet werden, sich als selbstständig Erwerbstätige zu versichern, heißt es. Der Vorstoß des Sozialministeriums geht somit in die entgegengesetzte Richtung des Finanzministeriums. Dieses prüft seit dem Vorjahr gezielt, ob Prostituierte in Bordellen angesichts ihrer Weisungsgebundenheit nicht als Angestellte zu behandeln seien. Ist man dieser Ansicht, muss der Bordellbetreiber die Lohnsteuer an die Finanz abführen.

Der Widerspruch ist dem Sozialministerium auch bewusst. In den Erläuterungen zum Gesetz schreibt man aber, dass auch dann kein sozialversicherungsrechtliches Dienstverhältnis vorliege, wenn rechtskräftig feststehe, dass eine Lohnsteuerpflicht besteht.

Bordellbetreiber begünstigt

Unter Frauenrechtsexperten sorgt der Hundstorfer-Entwurf für massive Kritik. Das Frauenreferat des Landes Kärnten (Prostitutionsgesetze sind Landessache) hält ihn für "sehr problematisch". "Der Ausschluss der SexdienstleisterInnen begünstigt nur die Bordellbetreiber/innen, die ein großes Interesse haben, dass diese nicht ins ASVG fallen, um den finanziellen und zeitlichen Aufwand wie das Führen von Lohnkonten oder die Abführung der Sozialversicherungsabgaben zu vermeiden."

Bestritten wird vom Land Kärnten auch, dass die Menschenrechtskonvention Arbeitsverträge über sexuelle Dienstleistungen verbiete. Eine Rechtsmeinung, der sich auch die Arbeiterkammer anschließt. Daher plädiert diese dafür, von dem Gesetztesvorhaben Abstand zu nehmen.

Geringere Selbstbehalte

Auch die Frauenabteilung der Stadt Wien äußert sich auf STANDARD-Anfrage ablehnend. Eine Vollversicherung im Rahmen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) biete – wenn auch in der Praxis begrenzt – Vorteile, wird argumentiert. Die Selbstbehalte für selbstständige Prostituierte seien oftmals ein Hemmnis, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen.

Darüber hinaus habe die Möglichkeit einer ASVG-Versicherung indirekt positive Auswirkungen. Derzeit würden viele Bordellbetreiber möglichst wenige Anordnungen erteilen (zum Beispiel Arbeitsort, Arbeitszeiten), um nicht in die Lohnsteuerpflicht zu fallen. "Werden SexarbeiterInnen nun generell von einer Vollversicherung nach dem ASVG ausgeschlossen, dann entfällt dieser Druck auf BordellbetreiberInnen", so die Frauenabteilung. Durch die Zusammenarbeit von Arbeitsinspektoraten, Polizei, Finanzpolizei und Krankenkassen könne auch die Gefahr der Ausbeutung verringert werden.

7.000 registrierte Prostituierte

Wie viele derzeit selbstständig beziehungsweise unselbstständig angemeldet sind, ist laut der auf Sexarbeit spezialisierten Soziologin Helga Amesberger unklar. Auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger führt dazu keine Statistik. Insgesamt gibt es in Österreich laut Amesberger jedenfalls 6.000 bis 7.000 registrierte Prostituierte.

Ein Problem mit der Menschenrechtskonvention sieht sie ebenfalls nicht. Auch Länder wie Deutschland, die Niederlande und Neuseeland hätten Anstellungsverhältnisse mit eingeschränktem Weisungsrecht. Arbeitszeit und Kleidung könnten dort vorgeschrieben werden, bei der sexuellen Dienstleistung an sich gebe es aber kein Weisungsrecht.

"Fatale Botschaft"

In diese Richtung möchte auch die grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner gehen. Sie kündigt bereits einen Abänderungsantrag im Parlament an. Auch wenn es wohl nur eine geringe Zahl an Anstellungsverhältnissen gebe, sei der Hundstorfer-Vorschlag "perfide" und eine "fatale Botschaft" an Prostituierte: "Sie vom ASVG auszugrenzen kann nicht Sinn des Gesetzgebers sein."

"Einfache Antworten" gebe es aber in dieser Branche nicht, sagt Amesberger. Auch im Fall einer Anstellung sei Ausbeutung möglich. Aus Salzburg wisse sie beispielsweise, dass Bordellbetreiber die Lohnsteuer von den Prostituierten im Vorhinein kassieren würden. "Die Kosten werden also abgewälzt." (Günther Oswald, 19.11.2015)