Der Futterboden in Wien-Penzing heißt nun nach seinem Koch und Betreiber: Wirtshaus Jerusalem.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Kalbsbratwürstel aus OÖ sind für sich die Anfahrt wert!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Lebenslang lernen, bloß nicht in der gut eingefahrenen Bahn dahintschundern oder es sich in der Komfortzone gemütlich machen: Wer einen guten Job machen will, kann Gemütlichkeit gleich abschreiben. Als Wirt schon überhaupt – wenn er nicht zufällig ein kochendes Museum verwalten darf. Anderseits ist aber kaum etwas riskanter, als ein funktionierendes System auslaufen zu lassen, bewährte Abläufe über den Haufen zu werfen, die beliebtesten Speisen von der Karte zu tilgen. Auf den Schuss aus der Hüfte folgt allzu oft der Fleck mit dem Bauch.

Manuela Moc und Niki Jerusalem haben es dennoch getan, sich und ihren Betrieb prinzipiell infrage gestellt, überlegt, was ihnen Spaß machen würde – und genau das getan. Was dabei herausgekommen ist, macht dementsprechend Freude. Und sollte – bitte, bitte – anderen Gastronomen Mut machen: Veränderung ist im Zweifel die richtige Entscheidung, Freude an der Sache der eigentliche Sinn der ganzen Gastgeberei und ein Ziel, für das es sich zu plagen lohnt.

Sanft renoviert mit neuem Namen

Aber schön der Reihe nach: Vor 13 Jahren sperrte Jerusalem ein Hinterhofwirtshaus in einem Penzinger Fuhrwerkerhaus auf. Der Futterboden machte sich damals als zeitgemäßes Gasthaus in einer Gegend einen Namen, in der es sonst kaum Alternativen gibt. Seit ein paar Wochen heißt es Jerusalem, präsentiert sich sanft renoviert – und mit neuem, für heimische Wirtshäuser eher spitzem Konzept.

Auf der Standardspeisekarte stehen im Wesentlichen nur noch Imbisse – Würstel etwa (aber was für welche – die Kalbsbratwürstel aus OÖ sind, siehe Bild, für sich die Anfahrt wert!), ein Burger, eine Aufschnittplatte, Gemüsebouillon mit diversen Einlagen, zwei Desserts. Das ist aber nur das Rückgrat des Angebots.

Vier Hauptspeisen werden täglich frisch gekocht, die können vorab via Facebook abgerufen werden. Erinnert mit seinem Fokus auf täglich wechselndes, ausschließlich Frischgekochtes an die italienische Idee vom Wirtshaus. Auch die Herkunft der Produkte (kleine Produzenten, unter anderem aus dem Mühlviertel) wird sehr slowfoodmäßig in den Vordergrund gestellt.

Unluftige Bemmerln

Die Gemüsebouillon ist ein konzentriertes Kompendium aus Wurzelauszügen mit starkem Pastinakenanteil, fein, mollig. Hausgemachte Backerbsen dazu klingen verlockend, erweisen sich aber als kaum knusprige, eher unluftige Bemmerln, die auch nach längerem Suppenbaden nicht so recht aufquellen wollen. Viel besser: Der klassisch duftige, ebenfalls hausgemachte Leberknödel. Käse ist zum Auftakt aber ebenso eine Option wie hinterher: Die Auswahl aus Jumi-Käsen samt salzkristallknirschigem Emmentaler ist nämlich eine der wunderbarsten – wenn auch leider gar kühlschrankkalt servierten – der Stadt.

Lauchtarte mit Blattsalat von der Tageskarte mag als vegetarische Option etwas mau klingen, extrem buttriger Blätterteig und obersgeile, saftig süße Lauchfülle aber machen die reichliche Portion ebenso zum Vergnügen wie der wirklich knackige Salat. Bierschopfbraten mit kuchigem Erdäpfelknödel, Krautsalat und einem epochal köstlichen Bier-Kümmel-Saftl (offenbar mit India Pale Ale!) ist aber der Bringer des Abends. Wenn da nicht dieser abartig gute Burger in einem Knusperlaberl vom Bäcker Felzl wäre, mit reichlich Jumi-Käse, fantastisch würziger Sauce und olivenöligen Ofen-Frites. Gilt aber nicht als Ausrede, vor den hyperflaumigen Mohn- und Nussnudeln mit Apfelmus zu kapitulieren! (Severin Corti, RONDO, 20.11.2015)