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Einschusslöcher im Fenster des Pariser Restaurants "La belle Equipe", zu einem traurigen Gesicht umgestaltet.

Foto: AFP/Bonaventure

Eine der bemerkenswertesten Stellungnahmen nach den Anschlägen von Paris am Freitagabend kam von dem früheren "Charlie Hebdo"-Zeichner Joann Sfar. In einem Cartoon kritisierte er den in den sozialen Medien verbreiteten Aufruf "Pray for Paris": "Wir brauchen nicht noch mehr Religion", richtete er den Communitys aus. Und: "Paris steht für Leben."

In der Tat ist der Aufruf zum Gebet irritierend. Die Gewalt, die am Wochenende die französische Hauptstadt erschüttert hat, ist allen Religionen immanent, auch wenn sich dies in Vergangenheit und Gegenwart an verschiedenen Schauplätzen in unterschiedlichen Ausprägungen manifestiert hat. Ganz besonders trifft das auf die sogenannten Buchreligionen zu.

Der Keim dazu liegt in der Exklusivität des einen Gottes und dem in den heiligen Büchern festgeschriebenen göttlichen Auftrag zur Gewaltanwendung gegen Nichtgläubige. Gleichzeitig spielt in diesen Religionen das Streben nach einem besseren Jenseits beziehungsweise das Warten auf das Erscheinen einer messianischen Figur eine wesentliche Rolle – zulasten des irdischen Lebens und der Freiheit der Menschen. Wie groß ist da der Unterschied zu Sfars Botschaft! "Wir glauben an Musik! Küsse! Leben! Champagner und Freude!", schreibt er in seinem Cartoon.

Warum sollte man also auf diesen fürchterlichen Auswuchs von Religion in Paris mit noch mehr Religion antworten? Auch wenn stets beteuert wird, der islamistische Terror habe nicht mit Religion zu tun, muss man festhalten, dass natürlich das Gegenteil der Fall ist. Natürlich hat Islamismus mit dem Islam zu tun: Die Jihadisten folgen in ihrer Ideologie einer wörtlichen Auslegung des Koran.

Die französische Gesellschaft ist säkular wie kaum eine andere in Europa, die Trennung von Staat und Religion ist umfassend. Diese klare Trennung ist eine der Stärken Frankreichs. Es ist anzunehmen, dass sich unter den Opfern auch zahlreiche religionsfreie Menschen befinden. Schon nach dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" im Jänner wurde gemahnt, die Opfer nicht mit religiösen Botschaften zu vereinnahmen. Dies sollte auch heute berücksichtigt werden.

Nach Anschlägen wie in Paris wird immer wieder die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Bedrohung durch religiöse Extremisten gestellt. Auf solch irrationales Gedankengut kann es aber nur eine Antwort geben: Rationalität. Die Freiheiten dürfen durch Terror nicht eingeschränkt werden, vielmehr muss die Antwort noch mehr Freiheit sein: mehr Leben!

Gleichzeitig muss die Demokratie ihre Wehrhaftigkeit zeigen und scharf reagieren. Religiöse Einrichtungen, in denen Hass gepredigt wird, dürfen nicht toleriert werden, demokratiefeindliche Gruppen wie die Salafisten müssen aufgelöst werden. Es darf nicht der schützende Mantel der Religionsfreiheit zur Verbreitung extremistischer Ideologien missbraucht werden. Und die Staaten, die den Terrorismus finanzieren, müssen von der internationalen Gemeinschaft isoliert werden.

Die Religionsgemeinschaften selbst sind dazu angehalten, ihre Schriften und Lehren den Rechtsstandards der freien Welt anzupassen und jegliche Hassbotschaften, Diskriminierung und Unterdrückung daraus zu streichen. Die Texte stammen aus Spätantike, Antike oder gar der Bronzezeit und bilden die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit ab, die mit den heutigen nichts zu tun haben. So ein Schritt, so unrealistisch er auch scheinen mag, kann natürlich nicht von heute auf morgen stattfinden, aber bei den Verantwortlichen muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass religiöse Regeln im Rechtsstaat keine Rolle spielen.

Das betrifft nicht nur den Koran. In einer Mail an die Redaktion wurde von einem offensichtlich christlich-fundamentalistischen Leser erklärt, die Opfer in der Musikhalle Bataclan seien selbst schuld, weil sie dem Teufel gehuldigt hätten, weil die Band Eagles of Death Metal den Song "Kiss the Devil" gespielt hatte: "Wer also in ein Konzert geht, weil er auf Todesmetall steht und Songs singt, die dem Teufel huldigen, der darf sich nicht wundern, wenn er bekommt, was er wollte." Seine Argumentation untermauert der Leser mit Bibelzitaten aus altem und neuem Testament. Auch die Bibel bietet also Grundlagen zu einer Radikalisierung von Gläubigen. (Michael Vosatka, 17.11.2015)