B wie Bildungsreform: Der Kompromiss von SPÖ und ÖVP steht, die Gespräche dauerten bis in die Morgenstunden.

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Wien – Bund und Länder haben sich nach einem Verhandlungsmarathon Dienstagfrüh auf eine Bildungsreform geeinigt. Dem STANDARD liegt das Papier mit den "Schwerpunkten der Bildungsreform" vor. Darin enthalten ist zum Beispiel die Einführung eines "Bildungskompasses für alle Kinder ab 3,5 Jahren", ein (nicht ganz) verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, aber auch Highspeed-Internet für alle Schulen bis 2020, mehr Autonomie für die Schulen und die Einrichtung von Bildungsdirektionen in den Bundesländern. Im Gegenzug sollen die amtsführenden Präsidenten der Landesschulräte, die Vizepräsidenten und die Kollegien abgeschafft werden, was laut dem Papier Einsparungen in Höhe von circa sechs Millionen Euro bringen soll.

Streitpunkt Schulverwaltung

Der Punkt 10, der dem Thema Schulverwaltung gewidmet ist, wurde besonders lange verhandelt. Künftig sollen neun Bildungsdirektionen eingeführt werden, die als eine "Bund-Länder-Behörde" fungieren. An der Spitze steht der Direktor, der auf Vorschlag des Landeshauptmanns oder der Landeshauptfrau vom Bundesminister bestellt wird. Die Behörde verwaltet die Landes- und Bundeslehrer gemeinsam, allerdings bleibt weiterhin der Bund der Dienstgeber der Pädagogen an den höheren Schulen, die Pflichtsschullehrer bleiben bei den Ländern.

Einen Zusatz haben die Länder noch hineinverhandelt: Im Landesgesetz kann vorgesehen werden, dass der Landeshauptmann oder das zuständige Mitglied der Landesregierung Präsident der neuen Behörde werden kann.

Direktorinnen und Direktoren sollen künftig "nach bundeseinheitlichen und objektivierten Bestellungsverfahren" bestellt werden.

Modellregion, aber kein ganzes Land

Der zweite große Konfliktpunkt waren die Modellregionen zur Erprobung der gemeinsamen Schule der Sechs- bis 14-Jährigen. Unter Punkt 11 heißt es: "Bundesländer können Modellregionen bilden" – allerdings, und das ist vor allem für Wien, aber auch Vorarlberg von Bedeutung: "Kein Bundesland kann flächendeckend zu einer Modellregion werden." Und Zusatz: "Privatschulen sind von den Modellregionen nicht betroffen – außer sie wollen freiwillig mitmachen."

Bund zahlt nicht für gemeinsame Schule

Wichtiger weiterer Zusatz: Wer eine Modellregion will, muss sie selbst finanzieren, denn: "Für den Bund entstehen keine Mehrkosten. Der Bund wird die Modellregionen nicht zusätzlich finanzieren."

An den Beginn der Bildungsbiografie soll künftig mit dreieinhalb Jahren die Ausstellung eines "Bildungskompasses" für jedes Kind gestellt werden. "Dazu werden sie vor Eintritt in den Kindergarten hinsichtlich ihrer Sprachfähigkeiten und ihrer Entwicklungspotenziale beobachtet." Dieser Kompass verfolgt die Kinder "vom ersten Kindergarten- bis zum letzten Schultag", ist in dem Papier zu lesen.

Pflicht oder nicht Pflicht?

Etwas kurios klingt Punkt 2: "Einführung des 2. Kindergartenjahres für alle Kinder (mit Opt-out-Möglichkeit, wenn kein Förderbedarf besteht)." Pflicht für alle oder doch nur für einige? Es ist nicht näher ausgeführt.

"Deutsch vor Schuleintritt" ist ein weiterer Punkt gewidmet. "Aufbauend auf dem 'Sprachscreening' soll Deutsch im Kindergarten noch besser und intensiver gefördert werden."

"Erneuerte" Bakip-Ausbildung

Im Bereich des Kindergartens ist eine "Qualitätsoffensive" geplant. Die Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen wird zwar nicht wie von der Berufsgruppe selbst gefordert auf akademisches Niveau angehoben, aber die Ausbildung an der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (Bakip) soll "erneuert" werden – "mit einem klaren Fokus auf die Kompetenzen Sprachförderung sowie Talente- und Begabtenförderung".

Mehr Männer in den Beruf locken möchte man damit, dass "das Anforderungsprofil für die Aufnahmeverfahren modernisiert" wird – was immer das konkret bedeutet. Aufgelistet ist es nicht. Für Kindergartenhelferinnen soll es eine einheitliche Mindestausbildung geben, für Leiterinnen eine "bundeseinheitliche pädagogische Zusatzausbildung".

"Sanft in die Volksschule"

Der Übergang vom Kindergarten zur Volksschule soll unter dem Schlagwort "Schuleingangsphase neu" "sanfter und harmonischer" erfolgen. Dazu soll der Bildungskompass mitwandern.

In der Volksschule werden "die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen noch mehr in den Mittelpunkt gestellt", zumal die Wirtschaft klage, dass ihre Lehrlinge diese Kompetenzen nicht beherrschten. "Dieses Problem gehört an der Wurzel gelöst", schreiben die Autoren des Verhandlungspapiers – im Kindergarten und in der Volksschule.

Fünf-Prozent-Autonomie für Volksschullehrer

Punkt 7 stellt den Schulen "Freiheit und Eigenverantwortung" in Aussicht – durch "Autonomie": "Pädagogische, finanzielle und personelle Spielräume kommen dorthin, wo sie hingehören: an die Schulen und in die Klassen."

Heißt konkret: Lehrer sollen leichter Schwerpunkte setzen können – in der Volksschule sind "Lehrplanabweichungen von 5 Prozent" erlaubt, im Gymnasium bis zu 33 Prozent, ist zu lesen: "Damit bekommen jene mehr Freiheit, die jeden Tag mit unseren Kindern arbeiten."

Direktoren dürfen neue Lehrer aussuchen

Direktoren "werden zu Schulmanagern aufgewertet" und sollen ebenfalls mehr Entscheidungsfreiheit und mehr Eigenverantwortung bekommen. Sie können selbstständig Schwerpunkte setzen, und: "Sie suchen sich das Personal aus, sie gestalten selbstständig die Schul- und Personalentwicklung." Sie dürfen laut Papier also "erstmals entscheiden, welche neuen Lehrer an ihrer Schule eingestellt beziehungsweise welche Lehrer nicht mehr verlängert werden. Das heißt, wenn ein neuer Lehrer nicht an die Schule passt, dann kann der Direktor entscheiden, dass er nicht an seiner Schule unterrichten wird."

Öffnungszeit wird Schulpartnersache

In Abstimmung mit den Schulpartnern kann jede Schule künftig selbst entscheiden, "wann sie die Schule aufsperrt, wann sie mit dem Unterricht beginnt und wann dieser endet".

Außerdem muss jede Schule jährlich einen "Qualitätsbericht" für Eltern, Schulpartner und Schulverwaltung erstellen.

Auf dem Weg zur digitalisierten Schule

Tempo soll auch in die Schulen kommen – und zwar in Form von Highspeed-Internet und WLAN für jede Schule bis 2020. Das wird als "Startschuss für die Digitalisierung der Bildung" verstanden.

Neu eingerichtet werden soll eine "Bildungsstiftung", die eine "Stiftung für digitale und innovative Bildungsprojekte" sein soll. Ab 2017 soll sie nach dem Vorbild der "Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung" errichtet und mit einem fixen Betrag ausgestattet sein. Zusätzlich sind private Zuwendungen möglich. (Lisa Nimmervoll, 17.11.2015)